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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

178 456. Affricatae. 457. Oefinung von Verschlussl. ohne Exspiration.


456. Eine feste Grenze zwischen Affricaten und einfachen Tenues ist vielfach nicht vorhanden. Hinteres velares k wird oft mit einem Ansatz von Reibungsgeräusch gesprochen, weil der Verschluss wegen der grossen zu bewegenden Massen nur relativ langsam in die entsprechende Weitstellung übergeführt werden kann (man vgl. das kx der Schweizer). Sodann stellt sich eine Spirans besonders leicht vor Vocalen mit starker Verengung des Ansatzrohrs ein, insbesondere vor i, vgl. z. B. russ. ть etwa in пять, u. dgl. Daher erklärt sich der Uebergang so vieler palatalisirter Laute in Affricaten (vgl. 489).

2. Oeffnung von Verschlusslauten ohne Exspiration.

457. Man kann zwei Verschlusslaute so mit einander verbinden, dass der Verschluss für den zweiten erst nach der Explosion des ersten hergestellt wird. Die Explosion des ersten kommt in diesem Falle deutlich zu Gehör. So spricht man derartige Gruppen beim langsamen Syllabiren wohl im Deutschen, auch in der Bühnensprache bei getragener Declamation: für das Schwedische ist diese Aussprachsweise nach Sweet S. 83 Regel; akta klingt z. B. deutlich wie ak + ta (mit leisem Absatz des k). In der gewöhnlichen deutschen Verkehrssprache aber, im Englischen und wahrscheinlich in den meisten Sprachen (Sweet a.a.O.) ist eine andere Bildungsweise gewöhnlicher: der Verschluss für den zweiten Laut wird während der Dauer des Verschlusses des ersten hergestellt, z. B. der t-Verschluss in Zebte, während noch die Lippen für das b geschlossen sind. Die Lippen werden also erst geöffnet, nachdem durch den t-Verschluss die Communication mit der Lunge abgesperrt ist, d. h. die Lippenöffnung erfolgt ohne alle Compression der Luft hinter der Articulationsstelle (356). Immerhin aber erzeugt auch hier die Oeffnung der Lippen ein ganz leises Geräusch. Noch schwerer wahrnehmbar ist das betreffende Oeft ungsgeräusch bei der Oeffnung eines t-Verschlusses vor k, z. B. in hat-kein. Liegt die zweite Verschlussstelle aber vor der ersten, wie z. B. in Akte, Deckbett, so verliert sich das Oeffnungsgeräusch noch gar in dem Blindsack, der durch den vorderen Schluss hergestellt ist. Treten mehr als zwei Verschlusslaute in dieser Weise zusammen, so wird der mittelste ganz wirkungslos, auch wenn man die Articulation desselben ausführt; vgl.z. B. Bildungen wie Hauptkunststück, er trinkt kein Wasser; diese werden denn sehr oft geradezu wie haup-k-, triꬻk-k- (mit gedehntem p, k) gesprochen. Man hört eben hier überall, wie Sweet richtig bemerkt, nur den Eingang des ersten und die Explosion nebst dem Ausgang des letzten Verschlusslauts.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/198&oldid=- (Version vom 13.6.2022)