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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

455. Affricatae. 177


für den Sonoren erforderlichen vollen Weite geöffnet. Geschieht dies nicht, sondern wird zunächst, wenn auch nur für einen kurzen Moment, der Verschluss nur so weit geöffnet, dass die exspirirte Luft an den Rändern der so gebildeten Enge sich reibt, so schiebt sich zwischen den Explosivlaut und den Sonoren ein dem ersteren homorganes Reibungsgeräusch ein. So entstehn Verbindungen wie die deutschen pfa, tsa, kxa u. s. w. Wir nennen dieselben Affricatae, sobald beide Laute, Explosivlaut und Spirans, im Silbenanlaut stehn, d. h. hier mit demselben Luftstoss hervorgebracht werden. Sie dürfen durchaus nicht verwechselt werden mit den auf zwei Silben vertheilten p-f, t-s u. dgl., die wir bei deutlich accentuirter Aussprache etwa in ab-fahren, hat-sich hören (vgl. das oben 434 über die Aspiraten Bemerkte).

455. Je nach der Verschiedenheit des Absatzes der Explosion wird auch die Qualität und Quantität bez. Stärke der Spirans verschieden sein. Aus den stimmhaften Medien entwickeln sich so stimmhafte (dz, , gᵹ u.s.f.), aus den stimmlosen Medien stimmlose Affricaten. Am vollständigsten ist die Reihe wieder bei den Fortes (Tenues) entwickelt, weil diese die vielfachsten Absätze haben. Den Tenues mit leisem Absatz entsprechen also pfa, tsa, tša, wie sie etwa der Schweizer oder auch der Mitteldeutsche, vielfach auch der Norddeutsche spricht, den Aspiraten die Formen pʿfa, tʿsa, tʿsa u.s.w., in denen das f, s, š mehr oder weniger als Fortis erscheint, jedesmal entspechend der Energie des Hauchs bei der correspondirenden Aspirata. Sie kommen öfter in Norddeutschland vor, aber ohne von den nichtaspirirten principiell geschieden zu sein. Besonders deutlich unterschieden werden beide Reihen z.B. im Armenischen und andern asiatischen Sprachen mit ähnlichem Lautsystem (so ist es mir keinem Zweifel unterworfen, dass das skr. ch, wenn es wirklich bereits als palatale Affricata gesprochen wurde, dem armenischen tʿš [vgl. Hübschmann, Z. D. M. G. XXX, 53f. 57f., Lepsius’ č̄] gleichzustellen ist). Ganz eigenthümlich klingen die Affricaten mit festem Absatz, von denen das Tifliser Armenisch z. B. die Laute t͗s und t͗š aufweist (Hübschmann’s ts und c, Lepsius’ ţ und č). Hier kann eben nur das im Munde eingeschlossene Luftquantum zur Bildung der Spirans verwendet werden; daher klingt dieselbe ganz kurz abgestossen, kürzer als sonst etwa eine Lenis s oder š, aber doch durch die Anlehnung an den vorhergehenden starken Verschlusslaut ziemlich energisch.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/197&oldid=- (Version vom 13.6.2022)