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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

164 418. Diphthonge.


der correspondirende unsilbische Vocal , gebildet werden soll (also bei Gruppen wie ji, wu), der letztere stets etwas geschlossener eingesetzt als der erstere, so dass hier zum Theil Engen- bez. Rundungsgrade erreicht werden, die bei den silbischen Vocalen derselben Sprachen sonst nicht üblich sind; ausserdem wird auch hier der unsilbische Theil öfters nur gemurmelt.

418. Ebensowenig lassen sich bestimmte theoretische Vorschriften über die Qualität der beiden Componenten geben. Doch machen sich allerdings gewisse Verschiedenheiten rücksichtlich des mehr oder weniger glatten akustischen Zusammenschlusses der beiden Vocale geltend, die mit den Abstufungen der natürlichen Schallfülle (518) zusammenhängen. Danach unterscheidet man (wenigstens bei den fallenden Diphthongen) wohl sog. echte und sog. unechte Diphthonge. ‘Echte Diphthonge’ in diesem Sinne sind solche, in denen das silbische und dynamisch stärkere (412) Glied zugleich grössere Mundöffnung und daher auch grössere natürliche Schallfülle besitzt als das unsilbische und dynamisch schwächere, ‘unechte Diphthonge’ dagegen solche, bei denen das dynamisch schwächere unsilbische Glied infolge grösserer Mundöff nung mit grösserer natürlicher Schallfülle begabt ist. Zu den ‘echten’ Diphthongen gehören danach Formen wie ai, ei, au, ou etc., zu den ‘unechten’ z. B. die noch jetzt in verschiedenen Abarten, namentlich in den oberdeutschen, zumal schweizerischen Mundarten erhaltenen mhd. ie, uo, üe (doch beachte man, dass die süddeutschen Vertreter dieser Gruppe oft zweisilbig, als īe, ūo, ǖe gesprochen werden). Akustisch unterscheiden sich die beiden (Gruppen dadurch von einander, dass das zugleich durch dynamische Schwächung und durch Minderung der Schallfülle (bez. stärkere Dämpfung) in seiner Lautheit herabgesetzte unsilbische Glied der ‘echten’ Diphthonge sich deutlicher dem silbischen (lied unterordnet, und dass daher beide Theile für das Ohr mehr zu einer Art glatt verlaufender Einheit zusammenschmelzen, während bei den ‘unechten’ Diphthongen die Mehrung der Schallfülle bei dem unsilbischen Glied die Minderung der Lautheit durch Nachlassen des Drucks und damit die akustische Unterordnung des unsilbischen Gliedes unter das silbische grossentheils wieder aufhebt, sodass die beiden Glieder mehr selbständig und unvermittelt neben einander zu stehen scheinen. Im Ganzen sind diese ‘unechten’ Diphthonge (welche historisch meist erst durch Diphthongirung aus ursprünglich

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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/184&oldid=- (Version vom 11.6.2022)