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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

160 409. Verbindung zweier Vocale. 410. Diphthonge u. Halbvocale.


1. Verbindung zweier Vocale, die verschiedenen Silben angehören.

409. Vocale, welche zwei verschiedenen Silben angehören, werden dadurch schon hinreichend auseinander gehalten, dass der zweite durch einen deutlich getrennten neuen Exspirationsstoss eingeführt wird. Der Gleitlaut ist dabei kaum vernehmbar, weil zwischen den beiden Stössen der Stromdruck sehr geschwächt ist. Ausserdem kann aber auch noch Kehlkopfverschluss zur Trennung der beiden Laute verwandt werden (also entweder ʾa-i, ʾa-o, ʾo-e, oder ʾaʾi, ʾaʾo, ʾoʾe u.s.w.). Gehauchter Uebergang (aʿi, aʿo etc.) ist in den indogermanischen Sprachen meist ein Rest eines einst zwischen beiden Lauten ausgesprochenen Mundlauts (im Deutschen z. B. Rest einer velaren Spirans, im Griechischen und anderwärts Rest eines s u. dgl.). Man unterscheide wieder die verschiedenen Stufen der Stärke des Hauchs: einen schwachen Hauch (leise gehauchten Uebergang) findet man nach Storm und Sweet (bei Storm² S. 94) oft im Französischen als Aussprache des aspirirten h, aber auch oft zwischen einfachen Nachbarvocalen, wie in Baal, fléau etc. Beim schnelleren Sprechen herrscht indess wohl in den meisten Sprachen die erstgenannte Art der Aufeinanderfolge mit continuirlicher Stimme vor, und dass das auch in den früheren Sprachperioden so gewesen ist, zeigen die vielen Contractionen von Vocalen an, welche bei Annahme einer Aussprache mit Kehlkopfverschluss oder Hauch zwischen beiden Lauten nicht erklärlich sein würden.

2. Diphthonge und Halbvocale.
a. Diphthonge.

410. Unter einem Diphthong im weitesten Sinne des Worts versteht man eine einsilbige Verbindung zweier einfacher Vocale, von denen mithin nach den allgemeinen (sesetzen der Silbenbildung (515 ff.) der eine silbisch oder Sonant, der andere unsilbisch oder Oonsonant ist. Wir bezeichnen solche unsilbisch gebrauchte Vocale durch untergesetztes  ̯. Danach bestehen beispielsweise die Diphthonge ai, au aus dem hier silbischen Vocal a und den hier unsilbischen Vocalen bez. , oder umgekehrt die Diphthonge i̯a, u̯a aus den hier unsilbischen Vocalen bez. und dem hier silbischen Vocal a.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/180&oldid=- (Version vom 9.6.2022)