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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

152 388. 389. Ein- und Absätze der Vocale.


rein auszuführen, da es unter Umständen Schwierigkeit macht, namentlich bei rascher und lebhafterer Sprechweise die Stimmbänderarticulation mit der gerade bei ihrem Beginne nach der Seite der Stärke hin schwerer controlirbaren Exspiration in den richtigen Einklang zu setzen (vgl. auch oben 192 ff.). Sprachen, welche es lieben, den Vocal mit einem stärkeren Druckstoss anzuheben (also wohl überhaupt Sprachen mit starkem dynamischem Accent, wie eben z. B. das Deutsche), lassen daher im freien Anlaut gern dafür den festen Einsatz (385) eintreten, während anderwärts eine Neigung zum leise gehauchten Einsatz (389) sich findet. Ob dieser letztere oder der leise Einsatz selbst dem altgriech. Spiritus lenis entspricht, ist unsicher; das Neugriechische bedient sich normaler Weise des leisen Einsatzes.

388. Die gehauchten Einsätze. Die Exspiration beginnt schon bei noch geöffneter Stimmritze, die Stimmbänder werden erst ein wenig später zum Tönen eingesetzt. Da die Zeit, welche zwischen dem Beginn der Exspiration und dem Einsetzen der Stimme liegt, sowie die Stärke und die specielle Form der Exspiration während dieser Zeit, endlich auch die Art des Uebergangs der Stimmbänder von der Athemstellung zur Stimmstellung variabel sind, so ergeben sich eine Reihe von Verschiedenheiten, deren Haupttypen hier noch hervorgehoben werden sollen.

389. Purkinje unterschied bereits neben dem gewöhnlichen h einen ‘leisen Hauch’, welchen er (vielleicht mit Recht) dem griech. Spiritus lenis gleichsetzte; derselbe ist nach ihm der Laut, ‘der jedem Vocal vorhergeht, der mit anfangs offener Stimmritze gesprochen wird’ (Brücke 11). Hiernach ist dieser Laut wohl zu identificiren mit dem, was die englischen Phonetiker gradual glottid nennen und als die gewöhnlichste Art des Vocaleinsatzes bezeichnen (Ellis IV, 1129, Sweet 63). Die Stimmritze durchläuft dabei die Stellungen für stimmlosen Hauch und Flüsterstimme, ehe die Stimme einsetzt, der eigentliche kräftige Impuls der Exspiration aber beginnt erst in dem Moment, wo die Stimme selbst anhebt. Im Deutschen scheint dieser Einsatz kaum vorzukommen (man hört ihn wohl gelegentlich in Interjectionen, wie dem bedauernden oh oder dem erstaunten ah u.dgl.), aber man verfällt leicht in denselben, wenn man versucht, einen Vocal kräftig, aber ohne den festen Einsatz, zu singen (vgl. die Bemerkung von Sweet a. a. O., und die Ausführungen von Storm² S. 93).

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/172&oldid=- (Version vom 8.6.2022)