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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

144 373. 374. Die Verschlusslaute: Teerminologisches.


Griechischen φ, χ, θ oder lat. ph, th, ch waren aber zu der Zeit, wo jene Systeme aufgestellt wurden, bereits Spiranten oder werden doch von uns als Spiranten gesprochen (ausser in Deutschland das θ, welches vom τ meist nicht unterschieden wird). Die Zeichen für die ‘Tenues’ π, τ, κ, lat. p, t, c, k, q und die ‘Mediae’ β, δ, γ, lat. b, d, g sind in die Schriften aller abendländischen Nationen übergegangen, und es ist daher in Deutschland z.B. üblich geworden, diejenigen Laute, welche durch p, t, k, q bezeichnet werden, Tenues zu nennen, die- jenigen aber, welche durch b, d, g ausgedrückt werden, als Mediae zu bezeichnen. Die p, t, k werden aber in verschiedenen (Gegenden ganz verschieden ausgesprochen, bald mit stärkerem, bald mit schwächerem Hauch, bald vollkommen hauchlos, und bei b und g ist die Verwirrung erst recht gross geworden, da diese nicht nur als Verschlusslaute, sondern auch als stimm- hafte oder stimmlose Spiranten gesprochen werden, z. B. in mitteldeutschem (und norddeutschem) lebe, Tage, Tag u.s.w. (im Auslaut aber wie in Leib hören wir sogar oft aspirirtes p, ebenso ein k für auslautendes g, z.B. im schlesischen und ober- sächsischen Dialekt).

373. Gegenüber diesem Wirrsal von Aussprachsweisen musste eine strengere Laautwissenschaft auf eine bestimmtere Definition der alten Ausdrücke Tenuis und Media dringen, wenn dieselben überhaupt aufrecht erhalten werden sollten, und es schien aus praktischen Gründen unthunlich, ja unmöglich, dieselben gänzlich zu verdrängen. Nun ist es vollkommen klar, dass die alten Grammatiker unter ihrer Tenuis einen unaspirirten stimmlosen Verschlusslaut, unter ihrer Media einen unaspirirten stimmhaften Verschlusslaut verstanden, Auf weitere Unterscheidungsmerkmale der Reihen p, t, k, q: b, d, g u.s.w. haben sie ihr Augenmerk nicht gerichtet, und sie brauchten es nicht, weil ihre Sprachen in der That, so viel wir sehen können, nur zwei gegensätzlich verwendete Reihen (p, t, k, q = stimmlosen unaspirirten Sprengfortes und b, d, g = stimmhaften unaspirirten Lösungslenes) besassen. Dagegen hat die daraus gefolgerte Annahme, dass der Unterschied zwischen Tenuis und Media im alten Sinne nun auch überhaupt nur in Stimmlosigkeit und Stimmhaftigkeit bestehe, in neuerer Zeit vielfach zu Irrungen geführt.

374. Insbesondere ist über die Namengebung der stimmlosen Verschlusslenes und ihre Einreihung in das ‘System’ viel und eifrig gestritten worden. Brücke hielt sie fälschlich

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/164&oldid=- (Version vom 7.6.2022)