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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

370. 371. Die Verschlussl.: Spreng- u. Lösungsl. 372. Terminologie. 143


erfolgte. Der Verschluss kann vor dem Moment der Explosion selbst bereits etwas gelockert sein: es kommt nur darauf an, dass von der explodirenden Luft ein letztes Verschlusshemmniss durch Sprengung überwunden wird. Die weitere Oeffnung des Mundes für die Stellung des folgenden Lautes erfolgt natürlich ganz durch eigene Muskelwirkung.

370. 2. Ungespannte Verschlusslaute oder Lösungslaute. Die articulirenden Weichtheile sind in sich ungespannt und daher weniger elastisch, die Berührungsflächen breiter. Der Verschluss wird nicht sowohl ‘gesprengt’ als ‘gelöst’, d. h. die unelastischen Massen der articulirenden Weichtheile werden langsamer und ausschliesslicher durch eigene Muskelwirkung von ihren Widerlagen gewissermassen abgewickelt oder abgezogen, ohne jenes plötzliche elastische Abspringen von der Widerlage, das die Sprenglaute auszeichnet. Dieser Art sind sowohl die stimmhaften als die stimmlosen Lenes (stimmhafte und stimmlose b, d, g oben 359. 362). Eine Art stimmloser Fortes dieser Gattung bilden die Laute, welche in vielen Gegenden Mitteldeutschlands für anlautende b, d, gwie anlautende p, t, (k) gebildet werden (vgl. namentlich das bereits angeführte k in thüring.-sächs. kommt, vulgo gommt, gegenüber g in geht, oben 359). Der Stromdruck (und entsprechend der gegenseitige Berührungsdruck der articulirenden Theile) kann bei diesen Lösungslauten ebenso stark sein wie bei den Sprengfortes (ja directe Messungen zeigen, dass er vielfach stärker ist), aber seine grösste Stärke liegt nicht im Momente der Explosion, sondern im Innern der Pause, die dieser vorangeht. Auch bei starkem Druck hat nach allem dem die Explosion bei den Lösungslauten einen dumpferen und matteren Klang als bei den Sprenglauten.

371. Mit Unrecht hat man die Lösungsfortes nach den Angaben Merkel’s über die sächsischen Laute bisweilen zu den Verschlusslauten mit Kehlkopfverschluss gerechnet; das in 366 angegebene Experiment zeigt sofort die Unhaltbarkeit dieser Ansicht.

C. Verhältniss der verschiedenen Bildungsweisen zu der älteren Terminologie.
(Tenuis, Media, Aspirata u. ä.)

372. Das Consonantensystem der griechisch-römischen Grammatiker umfasste nur zwei Arten von Verschlusslauten, die wir heutzutage mit den lateinischen Namen der Tenues und Mediae zu benennen pflegen. Die sog. Aspiraten des

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/163&oldid=- (Version vom 7.6.2022)