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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

142 366—369. Die Verschlusslaute: Spreng- und Lösungslaute.


366. Ueber das Bestehen oder Fehlen eines Kehlkopfverschlusses entscheidet leicht ein einfaches, nach meinen Angaben bereits von Grützner S.211 beschriebenes Experiment. Man stecke ein feines Röhrchen (eine nicht zu starke, auf beiden Seiten offene Federspule genügt) zwischen die Lippen und spreche dann mehrmals die Silben pa oder da (mit Aspiration) aus. Trotz dem Ausströmen der Luft durch das Röhrchen kann man deutlich den Eindruck eines p oder erzielen (ebenso gelingt das Experiment bei ba), zum Beweis, dass fortwährend von den Lungen aus mehr Luft zuströmt, als durch das Röhrchen abfliesst; die eingeschlossene Luft bleibt also stets stärker comprimirt als die äussere und kann also jederzeit bei Lippenöffnung noch explodiren. Ein p͗a aber gelingt nicht, weil bei Kehlkopfschluss die Luft im Mundraum sich sofort mit der äusseren Luft ins Gleichgewicht setzt. Man hört also zunächst nur das kurze Zischen der entweichenden Luft, dann den Vocal (mit festem Einsatz, 385): die Trennung der Lippen geht ohne Explosionsgeräusch vor sich. Schliesst man die äussere Oeffnung des Röhrchens mit dem Finger während man ein gewöhnliches p articulirt, so entweicht die Luft bei Oeffnung des Fingerschlusses in andauerndem Strome, dessen Dauer beim Ansatz zu aspirirtem noch gesteigert wird. Bei wirklichem aber verpufit das geringe Quantum comprimirter Luft im Mundraum fast momentan.

367. Endlich wird noch ein sehr wichtiger Unterschied bedingt durch die verschiedene Art, wie die Bildung und Aufhebung des Mundverschlusses erfolgt. Hiernach sind zu unterscheiden:

368. 1. Gespannte Verschlusslaute oder Sprenglaute. Die articulirenden Weichtheile sind mindestens in der Berührungszone in sich activ angespannt (vgl. 252 ff.), die Berührungsflächen sind infolge dessen relativ schmal (namentlich bei den Lippen lässt sich das deutlich beobachten: die Spannung markirt sich da auch in einem schärferen Anziehen der Lippen an die Zähne). Der Verschluss wird durch einen plötzlichen, auf den Moment der Verschlussaufhebung concentrirten Luftstoss geradezu gesprengt. Das Platzgeräusch hat dadurch einen scharf abgestossenen Charakter. Der Stromdruck sowie der entsprechende Druck der articulirenden Theile auf einander braucht deshalb nicht übermässig stark zu sein. Dieser Art sind heutzutage z. B. die p, t, k der romanischen Sprachen, des Neugriechischen, des Niederländischen, auch die unaspirirten T'enues von Nordwestdeutschland, ferner alle sog. Tenuisaspiraten. Da übrigens die Sprengung, selbst bei geringer Pressung der verschliessenden Theile, eine gewisse Druckstärke voraussetzt, so begreift es sich, dass Sprenglaute nur als Fortes und nur stimmlos auftreten.

369. Der Ausdruck ‘Sprengung’ ist nicht so zu verstehen, als ob die Oeffnung des Mundes bloss durch die Kraft der comprimirten Luft

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/162&oldid=- (Version vom 7.6.2022)