Seite:Eduard Sievers - Grundzüge der Phonetik - 1901.djvu/160

Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

140 361—364. Die Verschlusslaute: Fortes und Lenes.


361. Nach Winteler unterscheiden sich die stimmlosen Lenes b, d, g der Schweizer ausschliesslich durch geringeren Luftdruck von den Lungen her von den entsprechenden Fortes p, t, k. Sweet fasst dagegen die ‘stimmlosen Lenes’ b, d, g als half-voiced stops, d. h. nach ihm befindet sich die Glottis während des Verschlusses in der Stellung zum Tönen, aber ohne dass Luft hindurchgepresst wird; der Glide zum folgenden Vocal sei deshalb stimmhaft, was bei den ‘Tenues’ nicht der Fall ist. Wenn diese Auffassung richtig ist, so würde sich die Schwäche der Explosion bei den betreffenden Lauten mindestens zum Theil aus der Hemmung der Exspiration durch die verengte Stimmritze erklären lassen. Zuzugeben ist jedenfalls, dass bei den englischen anlautenden stimmlosen b, d, g der Gleitlaut oft stimmhaft gebildet wird, da das Englische in dieser Stellung überhaupt noch zwischen stimmhafter und stimmloser Aussprache schwankt, d.h. den Stimmeinsatz sogar noch in die Verschlussstellung hineinziehen kann. Nach den Beobachtungen von E. A. Meyer S. 22 (vgl. namentlich auch die Curventafel S. 20) scheinen aber stimmlose Verschlusslaute nach Stimmhaften überhaupt (d.h. ohne principiellen Gegensatz von Lenis und Fortis) während des ersten Theils der Verschlussdauer noch oft eine lockere Schlussstellung der Stimmbänder aufzuweisen, die zu (stimmlosen) Schlotterschwingungen der Stimmbänder (vgl. 284) Anlass gibt, während das Endstück der Verschlussdauer schwingungslos ist und daher wohl Oeffnung der Stimmritze voraussetzt. Auch hier ist also noch genauere Frforschung des ganzen Vorgangs abzuwarten. — Ueber stimmlose Verschlusslenes als ‘reducirte stimmhafte Mediae’ s. 518. f

362. Bei diesen stimmlosen Parallelen beruht der Unterschied der Explosionsstärke, wie man sieht, auf der Verschiedenheit des Gesammtdruckes: die Lenis wird mit schwächerem, die Fortis mit stärkerem Drucke gebildet. Etwas anders liegt die Sache bei den stimmhaften Verschlusslauten. Bei diesen wird ein Theil der Kraft des zur Lautbildung verwandten Luftstroms durch die Erzeugung der Stimme absorbirt; wegen der durch die verengte Stimmritze gehemmten Luftzufuhr wird die Compression der Luft im Mundraum nicht so weit getrieben wie bei sonst gleichem Druck und offenem Kehlkopf; der Explosionsknall ist daher auch stets schwächer als bei den stimmlosen Parallelen gleicher Druckstärke (vgl. 170 f.). Sie haben also ihrem Gesammteffect nach stets etwas von dem Charakter der Lenes an sich, auch da, wo sie dem Gesammtdruck nach als Fortes zu bezeichnen sind.

363. Eine weitere Scheidung der Verschlusslaute ergibt sich je nach der Art, wie die Compression der Luft im Mundraum herbeigeführt wird.

364. Gewöhnlich erfolgt diese von den Lungen aus, indem durch den Druck der Exspirationsmusculatur Luft aus den Lungen in den Mund getrieben wird. Bei den stimmlosen Verschlusslauten dieser Art steht dabei die Stimmritze offen

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/160&oldid=- (Version vom 6.6.2022)