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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

358—360. Die Verschlusslaute: Fortes und Lenes. 139


Luft den als Blindsack vorgelagerten (nach vorn zu abgesperrten) Mundraum allmählich aufbläht.

358. Wegen dieser Absperrung klingt der Blählaut der Verschlusslaute dumpfer als sonst die Stimme bei Lauten, die eine Ausflussöffnung haben; auch scheint hier besonders oft die Murmelstimme (84 f.) statt der Vollstimme einzutreten. Es ist deshalb nicht immer leicht, das Vorhandensein von Stimme bei einem Verschlusslaut herauszuhören, und so empfiehlt sich hier besonders die Anwendung der in 28 bezeichneten Controlmittel. Ueber die Pressstimme beim ع s. 354.

359. Je nach dem Grade der Compression und der dazu im Verhältniss stehenden Stärke des Explosionsknalls sind weiterhin Lenes und Fortes zu unterscheiden. So ist das stimmlose g in thüring.-sächs. geht Lenis im Verhältniss zu der ebenfalls stimmlosen Fortis k in thüring.-sächs. kommt, soweit dies # ohne Aspiration (also vulgo wie gommt) gesprochen wird. Deutlicher ist der Unterschied in den süddeutschen, speciell in den schweizerischen Mundarten ausgeprägt, wo neben den stimmlosen unaspirirten Fortes, die durch p, t, k (letzteres schweiz. oft gg) ausgedrückt werden, ganz entsprechende stimmlose Lenes b, d, g auftreten (s. besonders Winteler S.18 ff. und Heusler, Der alem. Consonantismus der Mundart von Baselstadt S.1ff.). Auch sonst sind im Deutschen diese stimmlosen Lenes nicht selten, ebenso kennt sie das Dänische und auch das Englische hie und da (z. B. regelrecht der Dialekt von Westmoreland). Im Armenischen wechselt die stimmlose Aussprache der b, d, g (also die Aussprache als stimmlose Lenis) mit der stimmhaften Aussprache promiscue ab, ohne dass deshalb der Unterschied von den unaspirirten Fortes p, t, k oder den aspirirten Fortes ph, th, kh verwischt würde, und so erscheinen überhaupt in den Sprachen, welche sonst ihre b, d, g stimmhaft sprechen, in der Nachbarschaft stimmloser Laute öfter auch diese stimmlosen Lenes (vgl. z. B. vielfach auftretendes norddeutsches ich bin mit stimmlosem b, mit du bist mit stimmhaftem b).

360. Es ist wohl zu beachten, dass die stimmlosen Lenes in den einzelnen Sprachen erhebliche Stärkeunterschiede aufweisen. Am schwächsten sind sie vielleicht in den Schweizermundarten, stärker bereits in Süddeutschland. In Mitteldeutschland, ja auch in einem grossen Theile von Norddeutschland, wo wie in England die anlautenden b, d, g sehr gewöhnlich stimmlos gesprochen werden, haben die betreffenden Laute wohl nahezu die Stärke einer romanisch-slavischen Tenuis, so dass auch hier eine feste Grenze zwischen den beiden Classen (Lenes und Fortes) nicht gezogen werden kann (abgesehen von dem nachher zu erörternden Unterschied zwischen Spreng- und Lösungslauten. — Ueber ‘neutrale’ Zwischenstufen zwischen Fortes und Lenes s. ausserdem oben 184.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/159&oldid=- (Version vom 6.6.2022)