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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

336. 337. Die Spiranten: Die š-Laute. 131


Vorderzunge mehr convex gewölbt zu sein, während das englische s eine Art Uebergang zur coronalen Articulation darstellen mag. Das palatale š, das z. B. im Russischen vor palatalen Vocalen (e, i u.s.w.) vorkommt, unterscheidet sich durch noch weiter rückwärts liegende Enge und stärkere Wölbung des gesammten Vorderkörpers der Zunge. Ein wirkliches cerebrales findet Storm² S. 7O im Ostnorwegischen und Schwedischen in der Verbindung ṛṣ, z. B. böṛṣe ‘Büchse’, und im baskischen ṣoṣa ‘un sou’ (im Dialekt von Bayonne). Emphatische alveolare s-Laute sind das arab. ص und ظ (166).

336. Ueber die eigentliche Articulation der š-Laute gehen die Ansichten der Forscher noch weit auseinander, weil diese Laute ausserordentlich viele und stark von einander abweichende Specialitäten entwickelt haben, die Articulation der Zunge aber sich noch mehr als bei den s-Lauten der directen Beobachtung entzieht. Nur so viel steht fest, dass die Zungenarticulation der š stets etwas weiter rückwärts liegt als die der s (s. die sehr instructiven Abbildungen und Beschreibungen beider Laute bei Grützner 219 ff.); wahrscheinlich ist mir auch, dass die Lippen an der Modification des specifischen Greräusches mehr oder weniger betheiligt sind (vgl. auch 342). Diese Mitwirkung kann auf wesentlich zweifach verschiedene Weise herbeigeführt werden. Entweder wird die beim s vorhandene Rinne in der Zunge dergestalt verbreitert oder ganz in Wegfall gebracht, dass auch bei neutraler Lage die Lippen noch wenigstens in ihren seitlichen Partien von dem Exspirationsstrom getroffen werden, oder es werden, bei Beibehaltung jener Rinne, die Lippen gerundet und oft auch mehr oder weniger vorgestülpt und bilden dann eine annähernd rechteckige Oeffnung. Auch einseitige š finden sich; hier stemmt sich der linke, seltener der rechte Zungenrand gegen den Gaumen an und so wird der Luftstrom nach der entgegengesetzten Richtung in den Mundwinkel hinein, gegen die in der Regel etwas seitlich abgehobenen Lippen geführt. Diese Art findet sich recht oft in Norddeutschland, namentlich ist sie bei Berlinern ganz gewöhnlich, aber auch von Engländern habe ich gelegentlich diese einseitigen š gehört.

337 Das Wesentlichste ist vielleicht bei allen š-Articulationen die Bildung eines grösseren kesselförmigen Raumes im Vordermunde, in welchen der Exspirationsstrom hineingetrieben wird. Wenigstens scheinen mir die $ sich von den entsprechenden

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/151&oldid=- (Version vom 3.6.2022)