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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

130 334. 335. Die Spiranten: Die s- und š-Laute.


namentlich nach i gehört zu haben, z. B. in meat, eating; die Enge muss aber ziemlich weit sein, da das Zischen nicht sehr stark ist (das Volk substituirt gewöhnlich postdentales oder interdentales θ dafür; den entsprechenden alveolar-coronalen Laut habe ich nur bei Gebildeten gefunden, welche noch die Irish-brogue sprechen, aber doch bestrebt sind das gewöhnliche alveolare t zu bilden).

334. Die Zischlaute s und s nebst den entsprechenden stimmhaften z und ž. Hier gilt es vor allen Dingen den aus der Sanskritgrammatik z. Th. auch in die sprachwissenschaftliche Literatur eingedrungenen Irrthum zu beseitigen, als sei ‘cerebrales s’ ohne Weiteres identisch mit š, oder ‘palatales s’ mit skr. ç, d. h. als verhielten sich die drei Laute š, ç, s so zu einander wie die skr. Verschlusslaute , c, t. Vielmehr existiren vollkommen ausgebildete Parallelreihen von s- und š-Lauten, d. h. es gibt sowohl cerebrale, palatale als dentale s und š.

335. Was nun zunächst die eigentlichen s-Laute anlangt, so ist nach den Untersuchungen von Bell und Sweet für sie charakteristisch, dass die Engen mit dem Zungenblatt (151) gebildet werden. Nicht minder wichtig ist aber, wie es scheint, dass bei ihrer Bildung die Zunge in ihrer Mittellinie zu einer schmalen mehr oder weniger tiefen Rinne eingekerbt wird, durch welche der Luftstrom gegen die obere Zahnreihe oder die Alveolen geblasen wird. Dies unterscheidet die eigentlichen s-Liaute wesentlich von den rein coronalen Zischlauten. Die Enge selbst kann vom untern Rande der Oberzähne an aufwärts bis zu der Articulationsstelle der Oerebralen gebildet werden. Engenbildung an der Kante der Zähne bringt ein lispelndes s hervor, das man als individuelle Eigenthümlichkeit. bei einzelnen Personen findet. Beim franz. s, z ruht die Zungenspitze ebenfalls noch hinter den Unterzähnen, die Enge liegt zwischen dem Zungenblatt und der Hinterwand der Oberzähne, an welche die Zunge stark angepresst wird. Aehnlich sind wohl die meisten mitteldeutschen s gebildet, doch liegt da die Enge bereits am untern Rande der Alveolen. In Norddeutschland dagegen, namentlich in den Mundarten, welche das st, sp am zähesten festhalten, findet man alveolare s, bei welchen auch die Zungenspitze bis über den untern Rand der Oberzähne hinauf gehoben ist. Diesem scheint das gewöhnliche englische s nahezukommen; doch hat dies nach Sweet weitere Oeffnung als der deutsche und französische Laut. Ausserdem scheint mir beim norddeutschen s die ganze

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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/150&oldid=- (Version vom 3.6.2022)