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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

128 327—329. Die Spiranten: 1. Labiale. 2. Zischlaute.


stimmlose in engl. wh ist nicht mit dem bilabialen f zu identifieiren. Die Scheidung documentirt sich schon äusserlich in der Articulation, indem bei den Spiranten v, w die Lippenränder mehr oder weniger gradlinig und parallel einander genähert sind, während der Halbvocal die Rundung und grössere Mundöffnung des Vocals « theilt, ausserdem aber auch wie dieser eine Zungenarticulation in Anspruch nimmt.

327. Eine eigenthümliche Abart des f findet man bei einzelnen Individuen (namentlich Juden) als Vertreter für š. Die Unterlippe ist dabei weit hinaufgezogen, sodass die Schneide der Oberzähne etwa in der Mitte der inneren Lippenfläche oder noch tiefer aufsetzt. Die Oberlippe ist ebenfalls dem entsprechend gehoben, und beide Lippen sind nach aussen vorgestülpt, sodass sie vor den Zähnen einen kesselförmigen Raum bilden (337). Ich bin nicht sicher, ob dabei auch die Zunge eine selbständige Articulation vornimmt (nämlich die Bildung eines ähnlichen Kessels hinter den Zähnen), möchte es aber fast glauben.

2. Die Zischlaute.

328. Hiermit betreten wir das für die Beschreibung schwierigste und auch in seiner historischen Entwicklung noch am wenigsten aufgeklärte Gebiet unseres Lautsystems. Dasselbe umfasst eine Reihe von Spiranten, deren Anfang das interdentale θ, deren Ende das palatale s bildet und in deren Mitte die verschiedenen s- und š-Laute liegen. Wir stellen voran die

329. Zischlaute coronaler Bildung. Hier begegnen zunächst die interdentale oder postdentale stimmlose Spirans θ nebst dem entsprechenden stimmbhaften ð. Die erstere Species wird durch Vorschieben des flach ausgebreiteten Zungensaums zwischen die ein wenig von einander entfernten Zahnreihen gebildet. Derselbe braucht nicht über die Kante der Oberzähne hervorzuragen. Die Hauptsache ist, dass die Enge zwischen dem Zungensaum und der Kante der Oberzähne gebildet wird (Michaelis’ marginales s). Dieser Art sind neugriech. ϑ und δ und oft englisches ‘hartes’ und ‘weiches” th nach dem Zeugniss von Storm² S. 69, dem ich nur beistimmen kann. Sweet findet dagegen das engl. t% gewöhnlich postdental gebildet. Er unterscheidet nur zwei Hauptarten. Bei der einen wird der Zungensaum gegen die Hinterfläche der Oberzähne gepresst und die Luft entweicht durch die Zwischenräume der Zähne (interstitielles θ, ð); die Berührung zwischen Zungensaum und Zähnen wird aber oft gelockert und

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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/148&oldid=- (Version vom 3.6.2022)