Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen | |
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309. Die Liquidae: 1, e. Das Kehlkopf-r. | 121 |
überschreitet, so dass die Stimmbänder nicht mehr in der gehörigen
Weise tönen, sondern in einzeln vernehmbaren Stössen
zittern. Es wäre hiernach das Kehlkopf-r als ein Stück intermittirender
Stimme oder etwa Knarrstimme zu charakterisiren
(vgl. auch Grützner 209). Wirklich gelingt es leicht
einen solchen intermittirenden Klang zu erzeugen, namentlich
bei Inspiration, wobei die einzelnen Stösse langsamer und deutlicher
getrennt vernehmbar einander folgen. Aber seine Bildung
ist keineswegs an die tiefsten Töne des menschlichen Kehlkopfs
gebunden, sondern seine Tonhöhe kann, wie schon Donders
beobachtete, wesentlich erhöht werden. Bei einiger Uebung
kann man das Knarren durch den grössten Theil des Umfangs
der Bruststimme durchführen, jedenfalls ist die Knarrstimme
innerhalb der Tonlagen des gewöhnlichen Sprechens durchaus
leicht bildbar. Hieraus folgt, dass sie unter Umständen für die
gewöhnliche glatte Stimme vicarirend eintreten könne. So bemerkte
Donders, dass Dickhälse die Neigung haben ihn statt
der glatten Stimme zu gebrauchen (auch wir reden ja oft von
‘knarrenden’ Stimmen), und dass sich das Knarren bei Andern
mit der Stimme verbindet oder mit ihr abwechselt und den
Eindruck klagender Sentimentalität hervorbringt (dies hört
man, wie ich hinzufüge, namentlich oft bei Kindern in weinerlicher
Stimmung, und vielfach bei recht hoher Tonlage), während
Knarrstimme bei geschlossenem Munde als klägliches
Stöhnen erscheint. Abgesehen von diesen Fällen durchgehender
Ersetzung der glatten Stimme durch die Knarrstimme tritt
die letztere dialektisch auch als historischer Vertreter von
Vocal+r auf. Entweder verschmelzen diese beiden Laute
ganz zu (intermittirendem) Knarrvocal, oder der Vocal wird
glatt eingesetzt und nur der Ausgang wird knarrend gebildet.
So hört man, wie ebenfalls Donders beobachtete, im Londoner
Dialekt z. B. o̱²s mit knarrendem Vocal für horse; ähnlich habe
ich von Dänen Worte wie kar, har aussprechen hören. Aber in
den von Brücke angeführten Beispielen ōrt Ort, wūrt Wort,
dǖrt Dorothea, habe ich, soweit mir ihre Aussprache überhaupt
bekannt ist, nichts anderes zu hören vermocht als einen dem
o, u, ü folgenden, mehr nach der neutralen Mitte des Vocalsystems
zu liegenden vocalischen Nachklang von sehr geringer
Stärke, obgleich mir die Bildung der Knarrstimme seit meinen
Kinderjahren vollkommen geläufig ist; vielleicht also dass die
knarrende Aussprache jener und ähnlicher Wörter nicht so
allgemein durch Niederdeutschland verbreitet ist. — Es ist
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/141&oldid=- (Version vom 31.5.2022)