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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

116 294—297. Die Liquidae: 1, a. Cerebrales r.


so können sich unter den oben 192 geschilderten Bedingungen auch bei ihnen leicht Engenreibungsgeräusche einstellen. Auch die spirantischen r, l können sowohl stimmhaft wie stimmlos gebildet werden.

294. Die Laute, welche wir in hergebrachter Weise mit r und l bezeichnen, werden also entweder als Sonore oder als Greräuschlaute gebildet. Doch scheint es ziemlich sicher zu sein, dass die indogermanischen Sprachen ursprünglich nur sonore Formen kannten. Wir stellen daher diese bei der Betrachtung wieder voran.

295. Wie bei den Vocalen, so haben wir auch bei den Liquiden Zungen- und Lippenarticulation zu scheiden; nur tritt die letztere gegen die erstere noch mehr zurück. Sie richtet sich gewöhnlich nach der betreffenden Lautumgebung. Der specifische r- oder l-Klang, auf den allein es zunächst bei der allgemeinen Charakteristik dieser Laute ankommt, wird durch die diesen Lauten im Gegensatz zu den Vocalen eigenthümliche Articulationsweise der Zunge bedingt.

296. Die Articulation der Vocale ist, wie wir gesehen haben (204), an sich durchaus dorsal, der liquide r-Laut entsteht (soweit er allein durch Zungenarticulation gebildet wird, vgl. 306 ff.) durch coronale, der l-Laut durch laterale Articulation der Zunge, d.h. für die r-Laute ist die Articulation des vordern Zungensaums, für die r-Laute die der beiden Seitenränder charakteristisch. Das Rollen der Zungenspitze beim r ist, wenigstens wenn wir den historischen Entwicklungsverlauf der indogermanischen Sprachen in’s Auge fassen, als unwesentlich und mindestens zum Theil als secundär zu betrachten; desgleichen sind das sog. ‘gutturale’ oder ‘uvulare’ und das Kehlkopf-r offenbar erst spätere Substitutionen für das ursprünglichere Zungenspitzen-r. Diese letzteren Laute werden daher unten (306 ff.) gesondert betrachtet.

1. Die r-Laute.
a. Cerebrales r.

297. Die am wenigsten leicht der Beimischung von Geräuschen ausgesetzte Art des liquiden r ist die cerebrale oder cacuminale. Sie ist häufig in den neuindischen Sprachen, kommt aber auch in Europa vor, z. B. dialektisch im Englischen (nach Sweet in den westlichen Grafschaften und in Kent, aber

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/136&oldid=- (Version vom 30.5.2022)