Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen | |
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292. Die Vocale: Schlussbemerkungen. 293. Die Liquidae. | 115 |
Basis zur Aussprache des Englischen. Manche Sprachen zeichnen
sich durch tiefen Kehlkopfstand und im Zusammenhang
damit durch die Neigung aus, die Gesammtmasse der Zunge
nach hinten zu ziehen, also alle Laute etwas zu velarisiren,
während andere (darunter namentlich wieder solche mit hohem
Kehlkopfstand) ‘vorn im Munde’ gesprochen werden, u. dgl.
Aber auch geringere Unterschiede haben noch sehr merklichen
Einfluss auf den Charakter der Sprache. In der mir geläufigen
niederhessischen Mundart articulirt die Zunge schlaff und mit
möglichst geringer Anspannung aller ihrer Theile, auch die
Kehlkopfarticulation ist wenig energisch. Um dagegen den richtigen
Klangcharakter mancher sächsischen Mundarten (natürlich
abgesehn von den Verschiedenheiten des Lautsystems) zu
treffen, muss die ganze Zunge angestrafft werden und der Kehlkopf
bei stärkerem Exspirationsdruck energischer articuliren.
Daher machen auch diese Mundarten einen harten, etwas
schreienden Eindruck gegenüber dem dumpfen, fast verdrossen
und theilnamlos zu nennenden Charakter der hessischen Mundart.
— Derartige Vergleichungen sind höchst lehrreich; wer
irgendwie in der Lage ist, mehrere Mundarten sich aneignen zu
können, versäume ja nicht dies zu thun und die Abweichungen
derselben systematisch zu studiren. Dabei leistet die oben
erwähnte Articulationsbasis die besten Dienste.
292. Was hier an dem Beispiel der Vocale, namentlich in Beziehung auf den Mangel objectiver Grenzen und die Nothwendigkeit systematischer Gliederung, erläutert worden ist, gilt mehr oder weniger von allen Sprachlauten und wird daher im Folgenden stets stillschweigend vorausgesetzt werden.
293. Unter Liquiden sind nach der alten Terminologie der Grammatik streng genommen nur die sonor gebildeten Arten der r- und l-Laute zu verstehen. Doch hat sich der Sprachgebrauch allmählich dahin geeinigt, dass man alle rund /-Laute schlechthin als Liquidae bezeichnet. Neben den stimmhaften Sonoren r, l sind danach zunächst ihre stimmlosen Parallelen ohne Engenreibungsgeräusch aufzuführen (197), weiterhin die spirantischen r, l, die zu den sonoren Formen in einem ähnlichen Verhältniss stehen wie die Spirans j (der stimmhafte ich-Laut) zu dem Vocal i. Da nämlich auch bei den r, l bedeutende Engen im Ansatzrohr hergestellt werden,
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/135&oldid=- (Version vom 30.5.2022)