Seite:Eduard Sievers - Grundzüge der Phonetik - 1901.djvu/130

Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

110 279—281. Gemurmelte Vocale.


nasal, d. h. ohne velaren Charakter gebildet zu werden. Dagegen findet Storm im Polnischen auch noch dentale und labiale Varietäten: ‘Die polnischen Nasalvocale ę, ą nehmen vor d, t einen mehr dentalen, vor 'b, p einen mehr labialen Charakter an, so dass ein unvollkommenes n oder m mit dem Vocal verschmilzt, indem bei Zähnen und Lippen eine ähnliche lose Annäherung stattfindet, wie sonst beim weichen Gaumen, pe̥ta, Dąbrowski.’

Gemurmelte Vocale.

279. Zu allen vollstimmigen Vocalen können, wie geflüsterte (81 f.), so auch gemurmelte Parallelen (84 ff.) gebildet werden. Letztere treten namentlich auf bei durchgehender Anwendung der Murmelstimme statt der Vollstimme. Ausserdem finden sich aber auch beim lauten Sprechen an ‘unbetonten’, d.h. nachdruckslosen Stellen der Rede sehr oft Murmelvocale; es gehören dahin z. B. die sog. geschwächten e des Deutschen (deren richtige Aussprache solchen Ausländern, welche in ihrer Muttersprache keine Murmelvocale kennen, ziemliche Schwierigkeiten zu bereiten pflegt), das hebr. Schwa mobile (—ְ) nebst den zugehörigen Chatephs (—ֲ, —ֱ, —ֳ), vermuthlich auch die sog. Svarabhaktivocale des Indischen u. dgl. Wir bezeichnen diese Murmelvocale durch kleine Vocalzeichen über der Linie, z. B. nhd. hatte, gesprochen ʿatᵊ.

280. Wie das Beispiel des Hebräischen zeigt, können auch da, wo Misrmelvocale infolge blosser Nachdruckslosigkeit an die Stelle vollstimmiger Vocale in lauter Rede treten, noch verschiedene Vocalqualitäten unterschieden werden, aber ihr Klangunterschied fällt wegen der Schwäche der Stimme nicht so in’s Ohr, und meist wird auch wegen der Nachdruckslosigkeit der betreffenden Silben die specifische Articulation weniger correct ausgeführt, so dass schliesslich an Stelle aller Vollvocale unterschiedslos ein einziger Murmelvocal (der sog. unbestimmte Vocal, jetzt auch wohl schlechthin Schwa genannt) treten kann, bei dem höchstens noch Unterschiede nach der lautlichen Nachbarschaft gemacht werden (da er oft nur als Gleitlaut auftritt, s. 506). Uebrigens ist die Qualität dieses ‘unbestimmten Vocals’ (ə) in den Sprachen und Mundarten, die ihn überhaupt kennen, im Einzelnen sehr verschieden.

281. Nicht alle ‘unbetonten’ Vocale werden zu Murmelvocalen oder Schwas, auch nicht im Deutschen, vgl. z. B. schwäb. giete ‘Güte’ mit

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/130&oldid=- (Version vom 28.5.2022)