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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

277. 278. Nasalvocale. 109


Nachbildung fremder Laute gelangt, ist Sache seiner Technik, und nicht jedem wird es gelingen, in dieser Beziehung idealen Anforderungen zu genügen. Dagegen kann man verlangen — und dies Ziel ist erreichbar —, dass jeder Beobachter sich über die relative Zungenlage und -spannung sowie die relative Lippenstellung seiner Vocale und deren Verhältniss zu den Articulationen fremder Vocale klar werde. Zu diesem Ziele führt, wie bereits in 246 angeführt wurde, am sichersten und leichtesten ein genaues Studium derjenigen Bewegungen des sanzen Zungenkörpers oder einzelner Theile desselben, welche von der Stellung eines Vocals zu der eines andern führen, und gerade zu dem Studium dieser Bewegungen gibt die Anordnung der Vocale in dem englischen System die beste Anleitung.

Nasalvocale.

277. Streng genommen kann jede Vocalnüance mit dem Nasenton gebildet werden. Dabei sind verschiedene Stärkesrade der Nasalirung zu beobachten, je nachdem sich das (Graumensegel mehr oder weniger von der hinteren Rachenwand abhebt und sich der Zunge nähert. Je mehr dies geschieht, um so stärker wird der nasale Klang des Vocals. Da aber, soviel wir wissen, keine Mundart mehr als eine Stufe der Nasalirung entwickelt hat, so braucht auch nur ein allgemeines Zeichen für ihr Vorhandensein festgesetzt zu werden; wir wählen dazu ein . an dem Vocal (ą, ę, į, ǫ, ų u.s.w.). Die Stufe der Nasalirung ist für die Einzelmundart jedesmal genauer zu bestimmen und eventuell durch ein Hülfszeichen auszudrücken.

278. Man darf nicht ohne Weiteres die französischen Nasalvocale als Repräsentanten dieser Gattung auffassen. Die Nasalirung derselben ist auf jeden Fall stärker als die der meisten deutschen Mundarten, welche die Nasalirung überhaupt kennen. Es ist aber noch zweifelhaft, ob diese stärkere Nasalirung bloss durch stärkere Senkung des Gaumensegels oder auch durch eine besondere velare Engenbildung zwischen Zungenrücken und Gaumensegel bedingt wird, wie Bell und nach ihm Sweet (doch zweifelnd, vgl. Handb. 211) und Storm annehmen. In einem Falle habe ich sicher eine stärkere Wölbung der Hinterzunge zum Gaumensegel hin beim Uebergang von a zu ą beobachtet. Die französischen Nasale sollten also, wie Storm² S. 59 bemerkt, eigentlich Velarnasalvocale heissen; die deutschen Nasalvocale aber scheinen auch ihm rein

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/129&oldid=- (Version vom 28.5.2022)