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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

104 267—270. Die Vocale: 3. Bell’s System.


267. In dieser Tabelle sind die Transscriptionen, welche Sweet im Handbook gebraucht, an zweiter Stelle in Klammern beigefügt. Abweichend von ihm sind bei unserer Transscription im Anschluss an das oben bei der Darstellung der älteren deutschen Systeme befolgte Verfahren die gespannten Vocale durch den Exponenten ¹, die ungespannten durch den Exponenten ² bezeichnet, während Sweet die ersteren unbezeichnet lässt, die letzteren durch Cursivdruck unterscheidet. Die ‘gemischten’ Vocale bezeichnet Sweet im Handbook durch beigesetzte h, später durch Uebersetzen eines Doppelpunkts, also ä, ë etc. Unsere Transscription folgt dem Vorschlage von Storm, welcher nur éinen Punkt zur Bezeichnung dieser Vocalreihe anwendet (einen Doppelpunkt erhält danach nur das ï neben i).

268. Um dieses System zu studiren beginnt man nach Storm am besten mit dem langen "geschlossenen’, genauer ‘gespannten’ i in ihn, sie (i¹, high-front-narrow). Wenn man aus dieser Stellung den Zungenrücken (oder aber den ganzen Unterkiefer, 252) allmählich senkt, sonst aber dieselbe Spannung und Form der Zunge behält, erhält man erst das gespannte (‘geschlossene’) e in See (e¹, mid-front-narrow), dann das breite ä im schwed. lära (æ¹, low-front-narrow), welches Storm im Wesentlichen mit dem ital. e in bello, spavento identificirt.

269. Doch gibt Sweet nachträglich S. 211 zu, dass beim Uebergang von engl. i¹ zu e¹ und æ¹ nicht nur die Zunge gesenkt, sondern der Ort der grössten Enge weiter rückwärts verlegt wird, so dass die Grösse des Resonanzraums nach beiden Richtungen hin wächst. Ebenso bemerkt Sweet richtig, dass man dem e¹ denselben Grad der Enge geben kann wie dem i¹, ohne die beiden Laute zu vermischen. Solche Speecialitäten sind bei der Lautbeschreibung im Einzelnen natürlich jedesmal genau zu vermerken. Auf jeden Fall aber ist zu beachten, dass eine Zurückziehung der Zunge bei tieferem Stand keinesfalls nothwendig ist, wenn sie auch an sich nahe liegt (um die erforderliche Grösse und Gestalt des Resonanzraums im Vordermund bequemer herzustellen).

270. Dann spreche man das ‘offene’ (d.h. hier ‘ungespannte’) i in Fisch (i², high-front-wide, man hüte sich aber dabei in den ü-ähnlichen Laut zu verfallen, mit dem man in Norddeutschland oft das kurze i spricht). Dabei wird die Vorderzunge loser und schlaffer als beim geschlossenen i¹. Wenn man von dieser Stellung aus die Zunge senkt, so erhält man zuerst das "offene’ bühnendeutsche e in Mensch, helfen (e², mid-front-wide), welches mit ä in Männer identisch ist, engl. e in men, pen, dann durch noch tiefere Senkung das engl. a in man (æ², low-frontwide).

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/124&oldid=- (Version vom 28.5.2022)