Seite:Eduard Sievers - Grundzüge der Phonetik - 1901.djvu/122

Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

102 264—266. Die Vocale: 3. Bell’s System.


gerundeten Vocale, sondern nur dumpfe (muffled) Varietäten der gewöhnlichen Laute. Ebenso ist, wenn ein vorderer Vocal nur mit innerer Rundung ausgesprochen wird, das Resultat nur ein dumpfer ‘gutturalisirter’ Vordervocal, nicht ein gerundeter Vordervocal (Sweet S. 13 ff.). Es ist richtig, dass bei der Rundung durch Anpressung der Lippen an die Zähne auch die Wangen z. Th. eine straffere Spannung annehmen, aber ich vermag nicht dieser eine derartig besondere Bedeutung beizulegen wie Bell und Sweet es thun, da doch die Wangen auch in schlaffem Zustande an den Zahnreihen anzuliegen pflegen, also wenigstens die Gestalt des Resonanzraums auf diese Weise nicht wesentlich verändert werden kann. Einen Einfluss der Spannung auf die Resonanzwirkung des Mundraums wird man allerdings nach dem in 245 Bemerkten auch hier nicht principiell leugnen dürfen. Doch bedarf die Sache noch näherer Aufklärung, namentlich auch nach der Seite der Frage hin, welche Rolle die in 254 erwähnte Verschiedenheit der Stimmbänderspannung im einzelnen Falle spielt.

264. Spaltförmige Ausdehnung der Lippenöffnung (42) findet sich namentlich oft bei den vorderen Vocalen, die dadurch einen helleren Klang erhalten, kann aber auch, wie Sweet bemerkt, auf andere Vocale ausgedehnt werden. Auch eine Verbindung von verticaler Rundung und Auseinander-

ziehen der Mundwinkel ist möglich und scheint sich hie und da thatsächlich zu finden.

265. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend stellt das englische System zunächst 18 (=9 gespannte und 9 ungespannte) Normalvocale ohne active Betheiligung der Lippen auf, und stellt diesen weitere 18 entsprechende gerundete Normalvocale gegenüber, indem es die spaltförmige Ausdehnung der Lippenöffnung als weniger wesentlich bei Seite lässt und von den verschiedenen Arten und Formen der Rundung für jede Zungenhöhe je nur eine correspondirende Stufe in Rechnung zieht. Die so gebildete Vocaltafel umfasst danach 36 Grundvocale, s. die Tabelle S. 103.

266. Diese Tabelle ist die von Sweet aufgestellte Vocaltafel mit den Verbesserungen und Zusätzen von Storm. Nur weicht die Anordnung in so weit ab, als Sweet die gespannten und ungespannten Vocale von einander trennt; bei ihm lautet die oberste Vocalreihe , ih, i; A, ih, i, während ich vorgezogen habe, die gespannten und ungespannten Formen der Vocale sonst gleicher Zungenstellung neben einander zu geben.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/122&oldid=- (Version vom 27.5.2022)