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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

249—251. Die Vocale: 3. Bell’s System. 97


Zwecke, zunächst in jeder Richtung drei Abstufungen aufzustellen.

249. Horizontale Zungenstellungen. Die Vocale sind in dieser Beziehung entweder hintere (back, velare), wenn die Zunge zu ihrer Bildung aus der Ruhelage nach hinten gezogen wird und demnach die charakteristische Enge zwischen Hinterzunge und weichem Gaumen bez. hinterer Rachenwand liegt, wie beim sog. reinen a; oder vordere (front, palatale), wenn die Zunge vorgeschoben wird und demnach gegen den harten Gaumen articulirt, wie etwa beim i; oder endlich gemischte (mixed[1]), palatovelare), wenn die Zunge auf ihrer Basis eine mittlere Stellung einnimmt, wie etwa bei engl. err oder deutschem e in Gade (es ist nur das ö-ähnlich klingende unbetonte e zu verstehn, wie es etwa im Bühnendeutschen gesprochen wird; die Dialekte haben vielfach auch e- oder ö- oder a-ähnliche Varietäten, auf die dann das oben Gesagte nicht mehr passt).

250. Neben diesen Hauptstellungen sind eventuell noch Zwischenstufen zu unterscheiden, die man als innere und äussere (inner und outer) bezeichnen kann. So wäre z. B. ein e, bei dem die Zunge gegen die i-Stellung nicht nur gesenkt, sondern zugleich auch ein wenig zurückgezogen würde, als ein ‘inneres e’ zu bezeichnen, u. dgl. mehr, oder ein Laut der nach der horizontalen Lage der Zunge zwischen dem front e und dem mixed ė¹ (s. unten) liegt, entweder als ‘inneres e¹’ oder als ‘äusseres ė¹’ zu bezeichnen, je nachdem er dem einen der beiden genannten Normalvocale näher liegt. In der Praxis wird aber kaum je mehr als eine Mittelstufe anzusetzen sein.

251. Verticale Zungenstellungen. Jenach der grösseren oder geringeren Erhebung des articulirenden (horizontalen) Zungentheils gegen das Munddach hin sind die Vocale entweder hohe (high) wie etwa das i, mittlere (mid) wie etwa das e, oder niedrige (low) wie etwa der Vocal in engl. air. Hohe Vocale sind also die mit geringstem Abstand der dorsalen Zungenwölbung vom Munddach, mittlere die mit mittlerem, niedrige die mit grösstem Abstand. Als Zwischenstufen

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/117&oldid=- (Version vom 27.5.2022)
  1. Der Ausdruck mixed für Vocale mit horizontaler Mittelstellung der Zunge beruht auf einer irrthümlichen Analyse Bell’s, welcher ursprünglich glaubte, dass bei diesen Vocalen Vorder- und Hinterzunge gleichzeitig articulirten. Er empfiehlt sich aber durch seine Kürze und wird schwer durch einen andern, ganz sachentsprechenden zu ersetzen sein, da der Ausdruck ‘mittlere Vocale’ für die Scheidung nach Verticalstellungen vorbehalten bleiben muss (s. 251).