Seite:Eduard Sievers - Grundzüge der Phonetik - 1901.djvu/116

Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

96 247.248. Die Vocale: 3. Bell’s System.


Zunge nicht nur vorgeschoben, sondern auch in ihrem vordern Theil gehoben wird, u. dgl. mehr. Man kann aber diese beiden Theile der Bewegung auch von einander isolieren, indem man z. B. zunächst die Zunge von der a-Stellung aus einfach vorwärts schiebt bis zur e-Stellung, und dann den vordern Theil der Zunge hebt bis zur i-Stellung. Man vergleiche etwa die beiden Diagramme

i und i
a e a

247. Die (relative) Zungenstellung eines jeden einzelnen Vocals (genauer gesagt, die relative Lage der charakteristischen Enge) wird also durch zwei Stellungselemente bestimmt, die man kurzweg als Horizontal- und Verticalstellung bezeichnen kann. Doch darf man diese beiden Ausdrücke nicht allzu buchstäblich nehmen, weil der Mundraum nicht eine gerade, horizontal liegende Röhre bildet, sondern eine gekrümmte Gestalt hat, bei der sich ein vorderer, mehr horizontal liegender Theil (zwischen Vorder- und Mittelzunge und dem harten Gaumen sowie dem Anfang des Gaumensegels), und ein hinterer, mehr absteigender Theil (zwischen dem hintern Zungenrücken und dem hintern Theil des Gaumensegels und der Rachenwand) unterscheiden lässt. Auch ist zu beachten, dass der vordere Theil infolge der Wölbung des Gaumendachs in der Mitte an sich weiter ist als an seinem vordern und hintern Ende. Von allen diesen Unregelmässigkeiten der Gestalt des Mundraums ist bei jener Nomenclatur und der Ausgestaltung der entsprechenden Vocaltabelle (s. 266) abgesehn, indem der Mundraum schematisch als eine gerade horizontale Röhre gedacht wurde. Dies Verfahren ist durchaus zweckmässig und entspricht nur der allgemein bei der Aufstellung orientirender Schemata üblichen Praxis. Es ist daher kaum mehr als Selbsttäuschung, wenn einige Phonetiker geglaubt haben, Bell’s System dadurch im Wesen zu verbessern, dass sie die geradlinig-rechtwinklige Anordnung Bell’s (s. die Diagramme in 246 und die Vocaltabelle in 266) durch eine andere typographische Anordnung der Vocalzeichen ersetzten, die den Krümmungsverhältnissen des Mundraums genauer angepasst sein soll.

248. Die Zahl der möglichen Abstufungen der Zungenstellung in horizontaler wie in verticaler Richtung ist an sich wieder unendlich gross. Doch genügt es, für praktische

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/116&oldid=- (Version vom 27.5.2022)