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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

86 228—230. Die Vocale: 1. Winteler’s System.


nur dass eine Vermittelung zwischen den beiden Basen des a wegfällt, weil beide ohne selbständige Articulation der Lippen gebildet werden.

228. Hiernach stellte sich das Winteler’sche Schema folgendermassen dar:

ü¹
ü²
ö¹
ö²
u¹ u² o¹ o² a & e² e¹ i² i¹

Dabei sind nur die Bezeichnungen durch Zahlenexponenten an Stelle anderweitiger typographischer Auszeichnungen Winteler’s gesetzt. Der Exponent ¹ deutet an, dass der Vocal unter den beiden dasselbe Grundzeichen tragenden Lauten die specifische Klangfarbe am deutlichsten habe; in der Praxis kommt ¹ mit dem üblichen ‘geschlossen’, ² mit ‘offen’ zusammen.

229. Zur Vergleichung mögen hierneben die sonst gebräuchlichsten deutschen Transscriptionssysteme, die von Lepsius, Brücke und Böhmer Platz finden:

u¹ u² o¹ o² a & e² e¹ i² i¹ ü¹ ü² ö¹ ö²
Lepsius: u a ą i o̤̣ o̤̱
Brücke: u o oᵃ a aᵉ eᵃ e i uⁱ oᵉ aᵒᵉ
Böhmer: u ų o ǫ a ą ę e į i v œ œ̨

230. Es ist unmöglich, für die gegebene Vocalreihe ohne mündliche Erläuterung genau treffende Beispiele aus den lebenden Sprachen und Mundarten anzuführen, da die individuelle Sprechgewohnheit des Lesers fast überall zu Missverständnissen führen würde. Ungefähr treffen u¹, o¹, e¹, i¹, ü¹, ö'¹ mit den Lauten der deutschen langen u, o, e, i, ü, ö überein oder mit franz. ou, au, é, i, u (eu); die mittel- und norddeutschen kurzen u, o, e (ä), i, ü, ö fallen meist in die Sphäre von unseren u², o², e², i², ü², ö², Das & ist der breite ä-Laut, welchen die Bewohner der Ostseeprovinzen in Worten wie Bär, Meer bilden und der auch in süddeutschen und schweizerischen Mundarten als Umlaut von kurzem und langem a mehrfach auftritt. Unter a ist das sog. reine a des Italienischen und Französischen zu verstehen. Langes o² ist der auch in Mittel- und Norddeutschland öfter gehörte Zwischenlaut zwischen a und o im englischen corn, fall u. dgl. Auch sein Umlaut ö² kommt als Länge in Norddeutschland öfter vor.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/106&oldid=- (Version vom 25.5.2022)