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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

208—211. Die Vocale: 1. Winteler’s Reihe uai. 81


208. Dies Vocaldreieck ist in verschiedenen Modificationen auch heute noch vielfach in Gebrauch. Eine wesentliche Modification, und zwar eine Verbesserung, erfuhr es zunächst durch Winteler, welcher, davon ausgehend, dass die Articulationsabstände zwischen a, i, u nicht überall gleich seien, vielmehr das a eine Art neutraler Mitte zwischen i und u bilde, vielmehr vorschlug, jene drei Laute in der Folge uai oder umgekehrt auf einer geraden Linie zu verzeichnen, und die Laute wıe ü, ö als ‘Vermittelungsvocale’ auf einer zweiten, zur ersten senkrecht stehenden Geraden einzutragen.

Zur Begründung dieses Anordnungsprincips und seiner Durchführung im Einzelnen lässt sich etwa das Folgende sagen:

209. Beim a ist der Mundcanal durchgehends mässig geöffnet. Die Zunge entfernt sich nicht viel aus ihrer Ruhelage. Bei i und u werden dagegen durch kräftigere Articulation bedeutende Engen im Ansatzrohr hervorgebracht, die Artıculation nähert sich also mehr derjenigen der ‘Consonanten’ im alten Sinne des Wortes. Da nun bei stärkerer Engenbildung kleine Differenzen in der Articulation stärkeren Einfluss auf den Charakter der entsprechenden Laute haben als bei geringerer, so sind auch i und u viel empfindlicher gegen Veränderungen der Articulation als a, welches bei sehr verschiedener Mundweite doch stets mit derselben Klangfarbe hervorgebracht werden kann. Aus diesem Grunde fand Winteler es rathsam, nicht, wie man bisher meist zu thun pflegte, von dem a als dem ‘einfachsten und reinsten’ Vocal auszugehn, sondern (nach einer schon von du Bois-Reymond, Kadmus 193 gegebenen Vorschrift) von den beiden mit grösserer Sicherheit zu bestimmenden Endpunkten der Vocallinie ui und von da aus erst nach der Mitte vorzuschreiten.

210. Dies Verfahren gewährte zugleich noch den Vortheil, dass es von Anfang an die Articulationen der beiden verschiedenen Theile, welche zur Bildung des vocalischen Resonanzraums dienen, die der Zunge und die der Lippen, schärfer hervortreten liess; denn bei u und i articuliren beide viel energischer als beim a und den diesem zunächst liegenden Vocalen, und die Formen ihrer Articulation sind die möglichst entgegengesetzten.


211. Die Zunge wird beim « in ihrer ganzen Masse nach hinten gezogen und in ihrem hintern Theile zum weichen Gaumen emporgehoben. Beim i dagegen ist sie nach vorn gedrängt und mit ihrem Vordertheile dem harten Gaumen genähert.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/101&oldid=- (Version vom 25.5.2022)