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Zwei Betrachtungen zu Edmund Husserl

Im Suchen nach einem absoluten Ausgangspunkt für eine fest begründete Philosophie und Wissenschaft begegnet Husserl Descartes; beide sehen diesen Ausgangspunkt im cogito, dem Akt des reflektierenden Ich, das in seinem Akt seiner selbst und seines Seins in unbezweifelbarer Weise gewiß wird. Aber während Descartes, wie Husserl sagt, aus mathematischem Vorurteil das ego cogito als Axiom für eine deduktive Wissenschaft setzt und aus metaphysischem Vorurteil als substantia cogitans, vollzieht er selbst die Scheidung zwischen dem psychischen Ich, das „in der Welt ist“, und dem transzendentalen Ich, für das sich die Welt als ein Ganzes aus Sinneinheiten aufbaut, sodaß es für sie vorausgesetzt ist. Das cogito im weitesten Sinn des Ich-Lebens wird als ein unendliches Feld immanenter Beschreibungen aufgewiesen; sie sind die Aufgabe einer eigenen Wissenschaft, der transzendentalen Phänomenologie, die als Grundwissenschaft, als prima philosophia, und zugleich als philosophia universalis in Anspruch zu nehmen ist, weil sich in ihr und nur in ihr alle philosophischen Probleme stellen und lösen lassen. Sie hat zu zeigen, wie sich in den cogitationes die cogita, die Gegenstände als Sinneinheiten für das Bewußtsein aufbauen (konstituieren) und wie im Fortgang des Ichlebens, das eine Genesis ist, wesensnotwendig eine Welt sich aufbauen muß: als eine Unterstufe die Natur, wie sie für das isolierte Subjekt sich darstellt, und das eigene Ich als psychophysisches; sodann die andern Subjekte und in Wechselverständigung mit ihnen die Welt als objektive, intersubjektive; in höherstufigen Akten theoretische Gegenständlichkeiten (Theorien, Wissenschaften) die Welt als Güter- und Wertewelt usw.

Innerhalb dieser Transzendentalphilosophie haben die Ontologien ihre Stelle: sie haben die eidetischen Strukturen der Gegenständlichkeiten verschiedener Stufen herauszuarbeiten. Auch die höchsten und letzten Fragen der Metaphysik, Ethik und Religionsphilosophie sind von diesem Boden aus in Angriff zu nehmen.

Husserl hat in den Cartesianischen Meditationen die Idee einer absoluten und universalen Wissenschaft gezeichnet und diese Wissenschaft selbst in ihren Grundlinien entworfen. Seine Ausführungen werden in mancher Hinsicht erläutert und ergänzt durch die eingangs zitierte Dissertation seines gegenwärtigen Assistenten Eugen Fink: im engsten Anschluß an Husserls eigene Gedanken, wie sie in Vorlesungen und Privatgesprächen zum Ausdruck kamen, wird

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Edith Stein: Zwei Betrachtungen zu Edmund Husserl. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/34&oldid=- (Version vom 31.7.2018)