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Die ontische Struktur der Person...

zu stellen. Der einzige, dessen Mitwirkung nicht auszuschalten ist, wenn die Vertretung zustandekommen soll, ist der Richter.

Es ist die Frage, ob das aus dem reinen Rechtsverhältnis der Vertretung allein zu verstehen ist, oder ob es an der speziellen Stellung des Richters liegt. Wenn sonst jemand mit einer Vertretung betraut werden, d.h. das Recht und die Pflicht übertragen erhalten soll, im Namen eines andern Subjekt bzw. Objekt von freien Akten zu sein, dann bedarf es dazu eines freien Übereinkommens zwischen den Betroffenen. Die Vertretung kann von einem Dritten – selbst wiederum im Namen des zu Vertretenden – nur dann übertragen werden, wenn der Betreffende keiner freien Akte fähig, also etwa unmündig ist. (Die Vormundschaft wird nicht von dem Mündel erteilt.) Der Vertreter kann nicht in derselben Weise ausgeschaltet werden, weil er notwendig eine freier Akte fähige Person sein muß. Nimmt er die Vertretung nicht an, so kommt sie nicht zustande. Und ebenso ist es rechtlich unmöglich, daß jemand die Erfüllung eines Anspruchs von einem andern, als der die Verpflichtung auf sich genommen hat, einfordert und ihn so von sich aus als Vertreter erwählt. Die eigentümlichen Verhältnisse, die wir bei der Vertretung im Falle der Strafe vorfinden, müssen also in Besonderheiten dieses Falls ihren Grund haben.

Diese Besonderheit besteht darin, daß beim Strafen eine Aktivität notwendig nur auf Seiten des Richters vorliegt. Für die andern Beteiligten besteht nur die Möglichkeit eines aktiven Anteils und dieser Möglichkeit entsprechend auch ein aktiver Anteil am Zustandekommen des Vertretungsverhältnisses. Dem Richter allein steht die Strafe zu, und es ist zugleich in sein Belieben gestellt, sie zu unterlassen oder abzuändern, z.B. auch an einem andern als dem Schuldigen zu vollziehen. Man kann das eine oder das andere von ihm erflehen, aber niemand hat es rechtlich von ihm zu fordern. Alles dies ist nur von dem göttlichen Richter gesagt. Einen irdischen Richter, auf den es sich ohne weiteres übertragen ließe, gibt es nicht. Soweit es sich um eine reine Schuld handelt (nicht nur um eine, die nur auf Grund eines positiven Rechtes Schuld ist), ist jeder irdische Richter – seinem Sinne nach, wenn auch nicht immer bewußtermaßen – Stellvertreter des höchsten Richters, dem allein das Strafen ursprünglich zusteht. In welchem Ausmaß und in welchen Formen ihm das Recht zu strafen eingeräumt wird, das ist nicht seine Sache,

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/166&oldid=- (Version vom 31.7.2018)