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Kreuzesnachfolge

da er hört, daß es Freitag sei, erkundigt er sich mehrmals am Tage nach der Stunde: er wartet ja darauf, die Mette im Himmel zu beten. An diesem letzten Tage seines Lebens war er noch schweigsamer und gesammelter als bisher. Meist hielt er die Augen geschlossen. Wenn er sie öffnete, heftete er sie voll Liebe auf ein Kreuz aus Kupfer.

Gegen drei Uhr bittet er, daß man vor seinem Tode P. Sebastian vom hl. Hilarius noch einmal zu ihm führen möchte. Das ist ein junger Pater, dem er in Baëza das Ordenskleid gegeben hat. Nun liegt er fieberkrank einige Zellen von dem Heiligen entfernt. Er wird hereingeholt und bleibt etwa eine halbe Stunde. Johannes hat ihm Bedeutsames mitzuteilen: „P. Sebastian, Euer Hochwürden sollen zum Prior des Ordens gewählt werden. Hören Sie aufmerksam auf das, was ich Ihnen mitteile, und versuchen Sie, es den Oberen zu berichten; erklären Sie ihnen, daß ich Ihnen dies unmittelbar vor meinem Tode gesagt habe“. Es handelte sich um etwas, was für das Wachstum der Provinz von Wichtigkeit war. Um fünf Uhr bricht der Heilige in den Freudenruf aus: „Ich bin glücklich, da ich, ohne es zu verdienen, heute nacht im Himmel sein werde“. Bald danach wendet sich an den Prior und Fernando Diaz: „Vater lassen Euer Paternität das Haus des Señor Fernando benachrichtigen, daß man nicht auf ihn warten soll, er muß heute nacht hier bleiben“. Nun verlangt er nach der hl. Ölung und empfängt sie mit großer Andacht; er antwortet dabei auf die Gebete des Priesters. Auf seine innigen Bitten wird ihm auch das Allerheiligste noch einmal zur Anbetung gebracht. Er spricht zärtlich mit dem verborgenen Gott. Zum Abschied sagt er: „Herr, ich werd Dich nun nicht mehr mit den Augen des Fleisches sehen“.

P. Antonius von Jesus und einige andere ältere Patres wollten bei ihm wachen, aber er gab es nicht zu. Er wollte sie holen lassen, wenn es Zeit sei.

Als es neun Uhr schlug, sprach er sehnsüchtig: „Ich habe noch drei Stunden Zeit; incolatus meus prolongatus est“ (Ps. 119,5). P. Sebastian hörte ihn auch noch sagen, Gott habe ihm zu seinem Trost drei Bitten gewährt: nicht als Oberer zu sterben; an einem Ort, wo er unbekannt sei, und nach vielen Leiden. Dann liegt er so still ins Gebet vertieft und friedlich da, daß man ihn schon für tot hält. Aber er kommt wieder zu sich und küßt die Füße seines Christus. Um zehn Uhr hört man eine Glocke läuten. Er fragt, wozu das sei. Man sagt ihm, das seien Ordensleute, die zur Mette gingen. „Und ich“, erwidert er, „soll durch die Barmherzigkeit Gottes hingehen, um sie mit der Jungfrau, U. L. Frau, im Himmel zu beten“. Um half zwölf Uhr etwa läßt er die Patres rufen. Es kommen ungefähr

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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/277&oldid=- (Version vom 9.3.2019)