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Kreuzesnachfolge

er sich vor der Übersiedlung nach la Peñuela seinen Aufenthaltsort nicht gewählt hatte, sondern sich ihn im heiligen Gehorsam zuweisen ließ, so möchte er sich auch jetzt den Ort bestimmen lassen, wo er Heilung suchen soll. Man läßt ihm die Wahl zwischen Baëza und Ubeda. Baëza ist das Kolleg, das er gegründet hat, dessen erster Rektor er war. Dort ist einer seiner treuen Söhne Prior, P. Angelus a Praesentatione, und erwartet ihn mit aller Liebe. An der Spitze der Neugründung Ubeda aber steht P. Franciscus Chrysostomus, den er sich auf ähnliche Weise wie Diego Evangelista zum Feind gemacht hat. So ist es für ihn selbstverständlich, daß er Ubeda wählt: weil das Kloster noch nicht lange besteht und arm ist, und weil er selbst in jener Stadt unbekannt ist, hofft er dort „mit mehr Nutzen und Verdiensten die Beschwerden der Krankheit zu ertragen“[1]. So besteigt er am 22. September 1591 das kleine Maultier, das ein Freund ihm zur Verfügung stellt, zur letzten Reise seines Lebens. Es ist ein richtiger Leidensweg. Er hat seit mehreren Tagen nichts mehr genießen können und kann sich von Schwäche kaum in Sattel halten. Und sein krankes Bein schmerzt, als würde es ihm abgeschnitten. Dort war ja der Sitz des Übels: es war erst angeschwollen, dann hatten sich nacheinander fünf eiternde Wunden geöffnet. Sie gaben dem Heiligen Anlaß zu dem Gebet: „Vielmals danke ich Dir, mein Herr Jesus Christus, daß Eure Majestät mir an diesem Fuß allein die fünf Wunden verleihen wollte, die Eure Majestät an Füßen, Händen und Seite hatte: wodurch habe ich eine so große Gnade verdient?“ Und er klagte auch bei den denkbar größten Schmerzen nicht, sondern ertrug alles mit der größten Geduld[2]. Nun muß er in diesem Zustand sieben Meilen weit auf Bergwegen reiten. Es geht sehr langsam voran. Er spricht mit dem Bruder, der ihn begleitet, von Gott. Als sie drei Meilen zurückgelegt haben, schlägt der Gefährte eine Rast am Ufer des Guadalimar vor: „Im Schatten dieser Brücke können Hochwürden etwas ruhen; die Freude, das Wasser zu sehen, wird Ihnen Appetit auf einen Bissen machen“. „Gern will ich etwas ruhen, denn ich habe es nötig; aber essen kann ich nicht, denn von allem, was Gott geschaffen hat, habe ich auf nichts Appetit als auf Spargel, und die gibt es jetzt nicht“. Der Bruder hilft ihm absteigen und niedersitzen. Da bemerken sie auf einem Stein ein Bündel Spargel, mit einem Weidenband gebunden wie für den Markt. Der Bruder glaubt an ein Wunder. Aber Johannes will nichts davon hören. Er läßt ihn nach dem Eigentümer


  1. Aussage des P. Petrus vom hl. Joseph, Obras V 99.
  2. Aussage des P. Diego a Conceptione, Obras IV 355.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/273&oldid=- (Version vom 9.3.2019)