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Kreuzesnachfolge

verlasse....“[1] „Wenn eine rohe und unerfahrene Hand an einem äußerst kunstvollen Gemälde schlechte und unpassende Farben anbrächte, so wäre das ein größerer und bedeutenderer Schaden, als wenn sie viele andere Bilder von mittelmäßiger Kunst verderben würde; und auch der Heilige Geist malte mit zarter Hand, und eine plumpe Hand verdarb sein Werk. Wer wird es vermögen, das Geschehene ungeschehen zu machen? .... Wie oft salbt nicht Gott die beschauliche Seele mit einer überaus zarten Salbung, einer liebenden, ruhigen, friedvollen, ganz einzigen, über alles Sinnen und Denken erhabenen Erkenntnis....: und da kommt ein geistlicher Führer, der wie ein Grobschmied mit den Seelenkräften nur zu hämmern und zu schlagen weiß .... und der Seele sogleich befiehlt: Fort, laß all diese Dinge, sie sind nur Müßiggang und Zeitverlust....“[2] Wenn solchen Führern die nötige Kenntnis mangelt, „dann sollten sie sich auch nicht unterfangen, ihre plumpe Hand an ein Werk zu legen, das sie nicht verstehen, sondern es einem andern überlassen, der die nötige Kenntnis dafür hat. Und es ist keine kleine Verantwortung und kein geringes Unrecht, wenn man die Schuld trägt, daß eine Seele vermessener Ratschläge wegen unschätzbare Güter verliert und manchmal ganz vom Ziel abkommt. Wer darum aus Vermessenheit sich täuscht, .... wird je nach dem Schaden, den er anrichtet, zur Rechenschaft gezogen werden. Denn die Angelegenheiten Gottes muß man mit großer Behutsamkeit und Vorsicht behandeln, besonders solche, die so wichtige Dinge und ein so erhabenes Amt wie die Seelenleitung betreffen, bei der die richtige Behandlung unermeßlichen Gewinn, Fehlgriffe aber unübersehbaren Schaden verursachen“[3]. Völlig unentschuldbar aber ist ein Führer, der „die Leitung einer Seele .... aus eitlen Rücksichten und Absichten .... nicht aus seiner Gewalt läßt“, wenn sie eine höhere Unterweisung als die seine nötig hat. „Nicht jeder, der einen Balken abhobeln kann, hat auch das Verständnis, ein Bild daraus zu fertigen, und wer ein Bild zu schnitzen vermag, weiß es nicht auszuarbeiten und zu polieren. Und nicht jeder, der die Feinarbeit versteht, kann es auch bemalen, sowie nicht jeder, der es zu bemalen weiß, die letzte vollendende Hand daran zu legen vermag.... Wärest du nicht mehr als ein Grobarbeiter, der die Seele nur bis zur Verachtung der Welt, zur Ertötung ihrer Leidenschaften und Neigungen führen kann, oder wärest du ein guter Bildschnitzer, der ihr zu heiligen Betrachtungen Anleitung geben kann, und verständest du


  1. Lebendige Liebesflamme, Str. 3 V. 3, § 4, E. Cr. II 444 f.
  2. a.a.O. § 8, E. Cr. II 450 f.
  3. a.a.O. § 11, E. Cr. II 458 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/267&oldid=- (Version vom 6.1.2019)