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Kreuzesnachfolge

weisen darauf hin, daß der Heilige mit außerordentlichen Gnadenerweisungen überschüttet worden ist. Sie lassen aber auch erkennen, daß er sich mit aller Kraft dagegen zu wehren suchte. Wenn er in Segovia durchs Haus ging, oft selbst während eines Geprächs, schlug er heimlich mit der Faust gegen die Wand, um sich vor der Ekstase zu schützen und den Faden der Unterhaltung nicht zu verlieren[1].

Mutter Anna vom hl. Albertus vertraute er an: „Meine Tochter, ich halte meine Seele immer im Innern der Allerheiligsten Dreifaltigkeit; mein Herr Jesus Christus will, daß ich sie dort halte“. Aber er empfängt oft so übergroßen Trost, daß er meint, seine schwache Natur müsse darunter erliegen, und es nicht wagt, sich der vollkommenen Sammlung zu überlassen. Es ist schon erwähnt worden, daß er sich tagelang das hl. Meßopfer versagte, aus Furcht, daß ihm dabei etwas Außerordentliches begegnen werde[2]. Immer wieder klagt er über diese „schwache Natur“ – zu schwach, um ein Übermaß der Gnade zu tragen, aber stark genug, um das Kreuz in jeglicher Form zu suchen und zu begehren. Der Herr hat es auch daran nicht fehlen lassen.

Wirksamer als die Abtötung, die man nach eigener Wahl übt, ist das Kreuz, das Gott einem auflegt, äußerlich und innerlich. Wie der Weg des Heilands so ist auch der Seines treuen Dieners vom Anfang bis zum Ende ein Kreuzweg gewesen: drückende Not und Armut in den ersten Kinderjahren, vergebliche Anstrengungen, der Mutter in dem harten Existenzkampf beizustehen, dann eine Berufsarbeit, die körperlich und seelisch den äußersten Einsatz der Kräfte und beständige Überwindung fordert: das sind die Anfänge der Kreuzesschule. Es folgen die Enttäuschungen über den Geist des Ordens, in den Gottes Ruf ihn führte, sicherlich Zweifel und innere Kämpfe vor dem Entschluß, zur Kartause überzugehen, und nach dem glücklichen Beginn der Reform in Durvelo eine Kette schwerster Prüfungen und Leiden im Kampf um sein Ideal.

Im Leben des Herrn waren sicher die glücklichsten Stunden die in stiller Nacht, in einsamer Zwiesprache mit dem Vater. Aber sie waren nur das Atemholen nach einer Wirksamkeit, die ihn mitten ins Gewühl der Menschen stellte und ihm das Gemisch von menschlicher Schwäche, Gemeinheit und Bosheit als Trank von Essig und Galle täglich und stündlich reichte. Auch Johannes kannte die Seligkeit stiller Nachtstunden, die Zwiesprache mit Gott unter freiem Himmel. Als Rektor des Kollegs von Baëza hat er ein Stück Land


  1. P. Bruno a.a.O. S. 327.
  2. P. Bruno a.a.O. S. 225 und Aussage der M. Anna vom hl. Albertus, Obras IV 402.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/265&oldid=- (Version vom 6.1.2019)