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Kreuzesnachfolge

körperlichen Schmerzen einzugehen in die Vereinigung mit dem leidenden Erlöser. Daß er viel größeres Gewicht auf die innere Abtötung legte, geht schon daraus hervor, daß die Mahnung dazu in seinen Schriften und Denksprüchen einen viel breiteren Raum einnimmt, wie ja überhaupt das Leibliche im Verhältnis zum Seelischen bei ihm auffallend zurücktritt. Es ist wohl manchmal von den wechselseitigen Einflüssen die Rede, besonders von dem Anteil des Leibes am Gnaden- und Glorienleben, aber in erster Linie ist doch für den Heiligen der Mensch Seele: es ist kennzeichnend, daß er kaum von Menschen spricht, manchmal von Personen, meist aber von Seelen. Er hat selbst auch in deutlichen Worten gesagt, wie er über das Verhältnis der äußeren und der inneren Abtötung denkt: „Die Unterwerfung und der Gehorsam sind eine Buße des Verstandes und des Urteils, und darum sind sie vor Gott ein angenehmeres und wohlgefälligeres Opfer als alle übrigen, körperlichen Bußwerke“[1]. „Körperliche Buße ohne Gehorsam ist höchst unvollkommen, weil die Anfänger dazu nur durch ihr Verlangen angetrieben werden und durch den Geschmack, den sie daran finden: und da sie nur nach ihrem eigenen Willen handeln, werden sie eher an Fehlern als an Tugenden zunehmen“[2]. Erst recht hat er verworfen, wenn Obere den Untergebenen eine übermäßige Bußstrenge auferlegten; er selbst ist darin immer mit weiser Mäßigung vorgegangen und hat wiederholt gutmachen müssen, was andere durch Übereifer verdorben hatten: so wurde er 1572 auf Veranlassung der heiligen Mutter in das Noviziat von Pastrana geschickt, um den Übertreibungen des Novizenmeisters P. Angelus ein Ende zu machen. Als er im Herbst 1578, einige Monate nach der Flucht aus dem Kerker, als Prior in die Einsiedelei auf dem Calvario geschickt wurde, fand er auch dort eine unvernünftige übersteigerte Aszese und sorgte für Milderung. Mit scharfem Blick erkannte er, daß hinter solcher Gewaltsamkeit eine innere Unsicherheit stand. Er sagte Petrus von den Engeln, der sich hier nicht genug tun konnte an Bußstrenge, vor seiner Romreise voraus, daß er als Unbeschuhter hingehe und als Beschuhter zurückkehren werde. Tatsächlich konnte der übereifrige Aszet an dem weichlichen neapolitanischen Hof nicht fest bleiben, während Johannes niemals wankend geworden ist.

Das letztlich Entscheidende ist natürlich auch für das Verhältnis von äußerer und innerer Abtötung nicht die Lehre, sondern das Leben. Wenn wir an die lebenslang geübten Bußwerke des Heiligen


  1. Andere Leitsätze und Denksprüche, 286. Spruch, E. Cr. III 48.
  2. a.a.O. 287. Spruch.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/257&oldid=- (Version vom 6.1.2019)