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Kreuzesnachfolge

Habit verborgen, ein Beinkleid mit vielen Knoten trägt, und sagt, das sei eine Grausamkeit, da er so krank sei. „Schweig, mein Sohn“, ist die Antwort; „es ist schon genug Erleichterung zu reiten. Wir dürfen nicht ganz in Ruhe sein“[1].

Während der letzten Krankheit war der gute Bruder Petrus vom hl. Joseph auf den Gedanken verfallen, ihm durch Musik in seinen furchtbaren Schmerzen etwas Ablenkung zu verschaffen. Er bestellte die drei besten Musikanten von Ubeda zu ihm. Sein Biograph Hieronymus vom hl. Joseph berichtet, nach ein paar Augenblicken hätte Johannes sie freundlich entlassen wollen: er meine, es gezieme sich nicht, irdischen Genuß mit himmlischem zu vermischen. Um aber seine Mitbrüder nicht zu betrüben, hätte er die Künstler weiterspielen lassen. Als man ihn jedoch um sein Urteil fragte, mußte er sagen: „Ich habe die Musik nicht gehört; eine andere, tausendmal schönere, hat mich die ganze Zeit in Verzückung gebracht“[2]. Wir können Baruzi wohl verstehen, wenn er der Zeugenaussage mehr Glauben schenkt, die den Heiligen zu seinem Pfleger sagen läßt: „Mein Sohn, gebt ihnen eine Erfrischung und dankt ihnen für den Liebesdienst, den sie mir erwiesen haben, und laßt sie gehen. Es ist nicht vernünftig, wenn ich mit Musik die Zeit der Schmerzen verkürze, die Gott mir gab“[3]. Das entspricht durchaus dem Geist des hl. Vaters Johannes: sein Kreuz ohne Erleichterung bis ans Ende tragen zu wollen. Andererseits hat auch die zweite Hälfte des ersten Berichtes manches für sich: die Rücksicht auf die Mitbrüder paßt gut zu dem Zartsinn des Heiligen; und die himmlische Musik ist nicht von der Hand zu weisen, weil der große Kreuzliebhaber ja offenbar sein ganzes Leben hindurch von der Freigebigkeit Gottes mit Tröstungen aller Art überschüttet wurde. Er bekam wohl gerade darum soviel Süßigkeit zu kosten, weil er nichts als Bitterkeit gesucht hat.

So sehr Johannes körperliche Bußstrenge geübt hat – niemals hat er darin das Ziel gesehen; sie war ihm ein freilich unentbehrliches Mittel: einmal, um den Leib und die Sinnlichkeit völlig in die Gewalt zu bekommen und dadurch nicht gehindert zu werden in der viel wichtigeren inneren Abtötung; sodann um durch das Leiden an


  1. P. Bruno, a. a. O. S. 312 ff.; Aussage des P. Juan Evangelista, Obras IV 392.
  2. Hieronymus vom hl. Joseph, Leben und Werke des hl. Johannes vom Kreuz. Französische Ausgabe der Karmelitinnen von Paris, S. 252.
  3. J. Baruzi, Saint Jean, S. 221.
    Es sind über diesen Vorfall eine ganze Reihe von Zeugenberichten erhalten. Den des Bruders Petrus vgl. bei P. Bruno, Saint Jean, S. 358 f.: „.... Wenn Gott mir die großen Schmerzen geschickt hat, .... warum sie mit Musik lindern und abschwächen wollen? .... Ich will die wohltätigen Geschenke, die Gott mir sendet, ohne jede Erleichterung erleiden....“
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/256&oldid=- (Version vom 6.1.2019)