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Kreuzesnachfolge

vermag, mag er auch noch so fromm sein....“[1], war für die beiden Patres ein Paradies. Es wurde schon erzählt, wie es mit Kreuzen und Totenköpfen geschmückt war. „Als Chor diente der Speicher, der in der Mitte etwas erhöht war, so daß sie die Tagzeiten dort beten konnten; aber man mußte sich sehr bücken, um eintreten und der Messe beiwohnen zu können. In zwei Winkeln nächst der Kapelle hatten sie zwei Eremitenzellen, in denen sie sich nur sitzend oder liegend aufhalten konnten; sie waren angefüllt mit Heu, da die Gegend sehr kalt ist. Das Dach berührte fast ihr Haupt, zwei Fensterchen waren dem Altar zugekehrt, und zwei Steine dienten als Kopfkissen....“ Nach der mitternächtlichen Matutin blieben sie im Chor bis zur Prim, „.... so ins Gebet versunken, daß manchmal ihr Habit, wenn sie die Prim beten wollten, ganz mit Schnee bedeckt war, ohne daß sie es gemerkt hatten“[2]. Um das arme, unwissende Volk der Umgegend zu belehren, gingen sie „trotz des vielen Schnees und der großen Kälte barfuß zum Predigen....; nachdem sie gepredigt und im Beichtstuhl gewirkt hatten, kehrten sie erst in später Stunde in ihr Kloster zurück, erfüllt von innerer Freude, die ihnen alles leicht machte“[3]. Solange Johannes Mutter und Bruder in Durvelo bei sich hatte, war Francisco manchmal sein Begleiter auf den Seelsorgsgängen. Nach der Predigt zogen sie sich schnell zurück und nahmen keine Einladung zum Mittagessen in den Pfarrhäusern an. Am Wegrand stärkten sie sich mit Brot und Käse, die ihnen Mutter Catalina mitgegeben hatte[4]. So lebte der Heilige getreu den Grundsätzen, die er später für andere niederschrieb: „Suche einzig aus Liebe zu Jesus Christus zur Entblößung, Entäußerung und Armut an allen Dingen dieser Welt zu gelangen“[5]. „.... Der Arme im Geist ist ganz zufrieden und munter im Mangel; und wer sein Herz auf nichts gestellt hat, findet in allem Frieden“[6].

Die Bußstrenge der beiden ersten Unbeschuhten Karmeliten war so groß, daß die heilige Mutter sie bat, sich etwas zu mäßigen. Es hatte sie „soviel Tränen und Gebete“ gekostet, geeignete Ordensleute für den Beginn der Reform zu finden, und nun fürchtete sie, der Teufel treibe die beiden zu übertriebenem Eifer an, um sie frühzeitig aufzureiben und das Werk im Beginn zu vernichten. Aber die Patres gaben wenig auf ihre Worte und setzten ihr strenges Leben fort.


  1. a.a.O. S. 102.
  2. a.a.O. 14. Hauptstück, S. 107 f.
  3. a.a.O. S. 108.
  4. P. Bruno, Vie d’Amour, S. 45.
  5. Andere Leitsätze und Denksprüche, 355. Spruch, E. Cr. III 56.
  6. a.a.O. 356. Spruch, E. Cr. III 56.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/254&oldid=- (Version vom 6.1.2019)