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Kreuzesnachfolge

sie nicht Ausdruck eines Lebens in Vereinigung mit dem Gekreuzigten wäre.

„Mein Geliebter, alles für Dich und nichts für mich; nichts für Dich und alles für mich. Alles Harte und Schwere verlange ich für mich und nichts für Dich.

O wie süß ist für mich Deine Gegenwart, der Du das höchste Gut bist. Ich will mich Dir in Schweigen nahen und Deine Fußspuren zu entdecken suchen, damit es Dir gefalle, mich mit Dir in der Vermählung zu vereinen; und ich werde nicht zur Ruhe kommen, bis ich mich in Deinen Armen erfreue; und nun bitte ich Dich, Herr, laß mich niemals mich zurücknehmen, sondern meine ganze Seele hingeben“[1].

In diesem Aufseufzen des liebenden Herzens spiegelt sich der Lebensweg, den Johannes vom Kreuz gegangen ist. Er ist den Fußspuren des geliebten Meisters auf dem Kreuzweg nachgefolgt. Darum hat schon das Kind ein rauhes Lager gewählt. Darum hat der Knabe in unermüdlicher Hingabe seinen Krankendienst verrichtet – als lebendiges Bild des Heilands, der sich keine Schonung gönnte, wenn die Leidenden und Hilfesuchenden Ihn umdrängten. Diese Liebe zu den Kranken, den leidenden Gliedern Jesu Christi, ist ihm sein Leben lang geblieben: Wenn er später als Oberer und Visitator in ein Kloster kam, galt nach der Begrüßung seine erste Sorge den Kranken: er bereitete ihnen eigenhändig die Speisen, leerte ihr Geschirr, duldete nicht, daß man sie aus Geldmangel ins Hospital brachte, tadelte streng jede Nachlässigkeit[2].

Aus Liebe zum Kreuz hatte der junge Ordensmann im Kloster St. Anna zu Medina del Campo und im Kolleg St. Andreas zu Salamanca in solcher Bußstrenge gelebt, daß die heilige Mutter beim Beginn der Reform von ihm sagte, bei ihm sei (im Gegensatz zu seinem viel älteren Gefährten P. Antonius von Heredia) „keine Prüfung notwendig; denn obwohl er unter den Beschuhten lebte, führte er doch immer ein Leben hoher Vollkommenheit und strenger Ordenszucht“[3]. Er hatte sich in Salamanca jeden Abend blutig gegeißelt, einen großen Teil der Nacht im Gebet verbracht und in der kurzen Ruhezeit eine Art Trog als Bett benützt. Das armselige Häuschen in Durvelo, von dem die Begleiterin der hl. Mutter bei der Besichtigung sagte: „.... Einen solchen Geist hat keiner, daß er es hier auszuhalten


  1. E. Cr. III 57.
  2. P. Bruno, Vie d’Amour, S. 218.
  3. Klosterstiftungen, 13. Hauptstück, Neue deutsche Ausgabe, Bd. II, München 1935, S. 100.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/253&oldid=- (Version vom 6.1.2019)