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Kreuzesnachfolge

unendliche und ewige Güter: sich selbst, Seine Schönheit und Herrlichkeit....“[1]

Eines Tages sprach eine Schwester in Gegenwart des Heiligen abfällig über einen Laien, der dem Kloster feindlich gesinnt was. Sie erhielt die Mahnung: „,Dann sollten Sie und die übrigen ihm um so freundlicher entgegenkommen; so würden Sie Schülerinnen Christi sein‘. Er fügte hinzu: ,Viel leichter ist es, die kleine Bitterkeit einer solchen Gelegenheit zu ertragen, wenn man diese Menschen Gott empfiehlt, als die doppelte Bitterkeit, mit solchen Empfindungen gegen den Nächsten unserm Willen nachzugeben‘“[2].

Im Gespräch mit einem Ordensmann sagte er die eindringlichen Worte: „.... Wenn Sie jemals ein Mensch, und sei es auch ein Oberer, zu einer Lehre überreden wollte, die Milderung anrät, und sollte er sie auch durch Wunder bekräftigen, so glauben Sie ihm nicht und nehmen Sie sie nicht an, sondern umfassen Sie die Buße und Losschälung von allen Dingen und suchen Sie Christus nicht ohne das Kreuz; Ihm mit dem Kreuz zu folgen durch Verzicht auf alles, auch auf uns selbst, dazu sind wir als Unbeschuhte der Allerseligsten Jungfrau berufen und nicht, unserer Bequemlichkeit und Weichlichkeit nachzugeben. Achten Sie darauf, daß Sie nicht vergessen, dies zu predigen, sooft sich Ihnen Gelegenheit dazu bietet, denn es ist für uns von so großer Bedeutung“[3].

Aus dieser Mahnung spricht so recht die Liebe Christi, die den Kreuzesjünger drängt, andere auf den Weg zu führen, den er selbst gefunden hat. „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was Meines Vaters ist?“ (Luc. 2,49), dies erste Wort des Heilands, das uns überliefert ist, hat Johannes auf die große Lebensaufgabe des Herrn uns Seiner Getreuen bezogen: „Unter dem, was des ewigen Vaters ist, kann nichts anderes verstanden werden als die Erlösung der Welt, vor allem das Heil der Seelen, da Christus, unser Herr, die vom Ewigen Vater vorausbestimmten Mittel anwandte. Und der hl. Dionysius Areopagita hat zur Bekräftigung dieser Wahrheit den wunderbaren Satz geschrieben: Aller göttlichen Werke göttlichstes ist es, mitzuwirken mit Gott zum Heil der Seelen[4]. Das heißt: die höchste Vollkommenheit eines jeden Wesens in seinem Rang und auf


  1. Andere Aussprüche über das geistliche Leben, l. Ausspruch, E. Cr. III 67.
  2. a.a.O. 2. Ausspruch, E. Cr. III 68.
  3. a.a.O. 5. Ausspruch, E. Cr. III 69. Fast wörtlich dasselbe ist als Brieffragment 25 (26), E. Cr. III 109, abgedruckt aus der Historia del Venerabile Padre Fray Juan de la Cruz, VI cap. 8.
  4. Himmlische Hierarchie, Kap. III §3, Migne, P. Gr. III 165. Das Zitat ist nicht ganz wörtlich wiedergegeben.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/251&oldid=- (Version vom 6.1.2019)