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Kreuzesnachfolge

Vereinigung führen. Darum hat er auch später so gern Kreuze geschnitzt und verschenkt. Auch seinem freundlichen Kerkermeister in Toledo, P. Johannes von der hl. Maria, wußte er zum Dank für seine heimlichen Liebesdienste nichts Besseres zu geben als ein Kreuz. Dies Geschenk mußte dem Geber wie dem Empfänger durch einen besonderen Umstand auch menschlich teuer sein: Johannes hatte es in Durvelo von der hl. Mutter erhalten. Für ihn war das wohl nur ein Grund mehr, sich davon zu trennen.

Wie wohlgefällig dem Herrn diese Liebe zum Kreuzbild war und der Eifer, für dessen gebührende Verehrung zu sorgen, davon zeugen die Kreuzvisionen, von denen früher gesprochen wurde[1]. Sie haben jedenfalls dazu beigetragen, dem Herzen das heilige Zeichen noch tiefer einzuprägen. Er hielt sein Kreuz in der Hand während der letzten Nacht seines Lebens. Kurz vor Mitternacht, als der vorausgesagte Augenblick des Todes nahte, gab er es einem der Anwesenden zum halten, um mit beiden Händen seinen ganzen Körper in die rechte Ordnung zu bringen. Aber dann nahm er den heiligen Christus wieder, gab ihm zärtliche Worte und küßte ihn zum letztenmal, ehe er leicht und unmerklich aushauchte[2].

Gut ist es, den Gekreuzigten im Bild zu verehren und Bilder zu verfertigen, die zu seiner Verehrung anspornen. Aber besser als Bilder aus Holz oder Stein sind lebendige Bilder. Seelen nach dem Bilde Christi zu formen, das Kreuz ihnen ins Herz zu pflanzen, das war die große Lebensaufgabe des Ordensreformators und Seelenführers. Im Dienst dieser Aufgabe standen alle seine Schriften. Von ihr sprechen in noch persönlicher Form seine Briefe und die Zeugenaussagen über seine Wirksamkeit.

Im Karmel zu Granada gab er seiner geistlichen Tochter Maria Machuca das heilige Kleid und den Namen Maria vom Kreuz. Man brachte sie ihm danach ins Sprechzimmer mit der Bemerkung, sie werde ihm wohl besonders lieb sein, weil sie vom Kreuz heiße; er antwortete: gewiß werde sie ihm sehr lieb sein, wenn sie das Kreuz liebte[3]. Eindringlich pflegte er den Menschen, mit denen er verkehrte, ans Herz zu legen, sie sollten „große Vorliebe für das Leiden, ganz allein um Christi willen, haben, ohne irdischen Trost zu verlangen; öfters sagte er....: ,Meine Tochter, verlange nichts anderes als das Kreuz, und zwar ohne Trost; denn das ist vollkommen‘“[4].


  1. Vgl. im Vorausgehenden I § 4.
  2. Vgl. P. Bruno, Vie d’Amour, S. 264.
  3. P. Bruno, Saint Jean, S. 307.
  4. Andere Ausprüche über das geistliche Leben, 10. Ausspruch, E. Cr. III 70.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/244&oldid=- (Version vom 6.1.2019)