Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/223

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Brautsymbol und die einzelnen Bilder

„nach außen zu dringen, sodaß Menschen, die einen Sinn dafür ha­ben, es wahrnehmen. Ihnen erscheint eine solche Seele als ein Lust­garten voll Wonnen und Reichtümern Gottes.

Und auch wenn die Blüten nicht geöffnet sind...., haben solche heilige Seelen eine gewisse geheimnisvolle Größe und Würde an sich, die andern Ehrfurcht und Hochachtung einflößt....“ Im Wehen des Heiligen Geistes aber teilt sich der Sohn Gottes in erhabener Weise der Seele mit. Und Er ist es vor allem, der sich an ihrem voll erblühten und duftenden Blumenschmuck erfreut. Sie aber ver­langt danach, um Ihn zu ergötzen. Er hat sie genährt und in sich umgewandelt, auch so ist sie nun „gereift, zubereitet und gewürzt durch die Blüten der Tugenden, Gaben und Vollkommenheiten....“ An ihrem Wohlgeschmack und ihrer Süßigkeit erfreuen sich die Liebenden gemeinsam. „Denn es ist dem Bräutigam eigen, sich mit der Seele im Duft dieser Blüten zu vereinen“[1].

Inmitten dieses Glückes leidet die Seele darunter, daß sie immer noch nicht die volle Herrschaft über ihre niederen Kräfte hat; im­mer noch regen sich Empörungen im Begehrungsvermögen und be­einträchtigen das Gnadenleben. Die Seele wendet sich an diese niede­ren Regungen und bittet sie, ihre Grenzen nicht zu überschreiten. Nymphen nennt sie sie, weil sie schmeichelnd und zudringlich den Willen verführen wollen. Den Namen Judäa gibt sie dem sinnli­chen Seelenteil, „weil er von Natur aus schwach, fleischlich und blind ist wie das Volk der Juden“[2]. Während die Rosensträucher der höheren Vermögen Blüten der Tugenden hervorbringen und den Ambraduft des Heiligen Geistes aushauchen, sollen jene Nymphen im Vorraum oder der Vorstadt der inneren Sinne bleiben und die Schwelle zum Inneren, d.h. die ersten Regungen des höheren Seelen­teils, nicht berühren. (An dieser Stelle erscheint nicht erst die Deu­tung, sondern schon die Strophe selbst gekünstelt und allzu stark vom Zeitgeschmack beeinflußt. Die nächste dagegen fügt sich wie­der anschaulich dem Rahmen des Ganzen ein.)

Das Verlangen der Seele geht darauf, Gott von Angesicht zu An­gesicht zu schauen. In ihrem Innersten hat sie Ihn gefunden und hier möchte sie mit Ihm verborgen bleiben. Wenn Er ihr in der ge­heimen Kammer ihres Herzens die Herrlichkeit Seiner Gottheit of­fenbart, soll nichts davon nach außen laut werden, damit von dort keine Störung komme. Die Seele weiß, daß die Schwäche ihrer sinn­lichen Natur erliegen würde unter der Erhabenheit dessen, was auf


  1. Erklärung zu Str. 17 (26), Obras III 292 f. u. 125 f.
  2. Erklärung zu Str. 18 (31) V. 1, Obras III 299 u. 146.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/223&oldid=- (Version vom 6.1.2019)