Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/173

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

eine Freundin starker Liebe und kraftvoller, stürmischer Berührung ist.... Drittens, weil die Liebe sich danach sehnt, daß der Akt sich in kürzester Zeit vollziehe....“ Denn er hat umso mehr „Kraft und Wert, je kürzer und geistiger er ist. Denn vereinte Kraft ist mächtiger als zersplitterte....“ Die Akte, die sich in einem Augenblicke in der Seele vollziehen, sind von Gott eingegossen; die von der Seele selbst ausgehen, sind mehr zubereitende Begierden und werden niemals vollkommene Akte der Liebe, wenn sie nicht, wie gesagt, Gott zuweilen „ganz kurz im Geiste formt und vollendet“. „.... In die zubereitete Seele senkt sich der Akt der Liebe augenblicklich ein, denn bei der ersten Berührung erfaßt der Funken die trockene Nahrung. Darum verlangt die liebeentflammte Seele ein schnelles Zerreißen....“ Sie will keinen Aufschub und kein Ab­warten des natürlichen Endes. „Die Macht der Liebe und die Zube­reitung, die sie in sich gewahrt, wecken in ihr .... das Verlangen, es möge das Leben alsbald beendet werden durch irgend einen Stoß oder übernatürlichen Antrieb der Liebe“. Sie weiß, „daß Gott sehr gern solche Seelen, die Er innig liebt, schon vor der Zeit hinweg­nimmt, um sie durch diese Liebe in kurzem zu vollenden....“ „Darum ist es eine wichtige Aufgabe der Seele, sich in diesem Leben in Akten der Liebe zu üben, damit sie in kurzer Zeit und, ohne sich da oder dort aufzuhalten, zur Anschauung Gottes gelange“.

Die Seele nennt das ungestüme innere Erfaßtwerden vom Heiligen Geist ein Treffen oder eine Begegnung. Gott greift sie mit diesem übernatürlichen Ungestüm an, um sie über das Fleisch zu erheben und der ersehnten Vollendung entgegenzuführen. Es sind das wahre Begegnungen; der Heilige Geist durchdringt dabei das Wesen der Seele, verklärt und vergöttlicht es. „Dabei verschlingt das göttliche Sein das Sein der Seele über allem Sein“. Die Seele darf hier Gott lebendig kosten und nennt dieses Treffen vor allen andern Berüh­rungen und Begegnungen süß, weil es alle andern an Erhabenheit übertrifft. So bereitet Gott die Seele auf die vollkommene Beseligung vor und gibt ihr selbst die Bitte ein, jenen zarten Schleier zu zer­reißen, damit sie fortan ohne Schranken und ohne Ende in der Fülle und Ersättigung, nach der sie verlangt, Gott lieben könne[1].



  1. Damit endet die Erklärung zu Str. 1, Obras IV 26 ff. u. 131 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/173&oldid=- (Version vom 7.1.2019)