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Die Seele im Reich des Geistes und der Geister

über Seine Natur und Seine geheimen Ratschlüsse; Er schenkt ihm Sein Herz – erst wie in einer augenblicklichen Aufwallung bei persönlichem Zusammensein (im Gebet der Vereinigung[1]), dann zu dauerndem Besitz (in der mystischen Verlobung[2] und Vermählung[3]). All das ist kein Schauen von Angesicht zu Angesicht – darin versagt das Bild von der fortschreitenden Annäherung zwischen Menschen. Aber um eine Begegnung von Person zu Person und damit um eine Erfahrungserkenntnis handelt es sich schon auf der untersten Stufe. Gott berührt mit Seinem Wesen das Innerste der Seele (das der hl. Vater Johannes auch als ihr Wesen bezeichnet). Gottes Wesen aber ist nichts anderes als Sein Sein und als Er selbst; Er selbst ist Person, Sein Sein persönliches Sein, das Innerste der Seele ist der Herz- und Quellpunkt ihres persönlichen Lebens, zugleich der eigentliche Ort ihrer Begegnung mit anderem persönlichen Leben. Eine Berührung von Person zu Person ist nur im Innersten möglich; durch eine solche Berührung gibt eine Person der andern ihre Gegenwart kund[4]. Wenn man also in dieser Weise sich innerlich berührt fühlt, so ist man mit einer Person in lebendiger Fühlung. Das ist noch keine Vereinigung, sondern nur der Ansatzpunkt dazu. Gegenüber dem gnadenhaften Innewohnen ist es aber schon ein Durchbruch zu etwas Neuem: dort wird der Seele göttliches Sein mitgeteilt, aber der persönliche Quellpunkt bleibt verborgen und tritt in diese Seinsmitteilung nicht ein; hier tritt der Quellpunkt des göttlichen Lebens (soweit man davon sprechen kann) mit dem Quellpunkt des menschlich-seelischen Lebens in Seinsberührung und wird dadurch als gegenwärtig spürbar. Dabei bleibt er aber noch im Dunkeln und verschlossen. In den Erleuchtungen über göttliche Geheimnisse öffnet sich das verschlossene Innere Gottes: wenn die Seele in der gnadenhaften Mitteilung das Einströmen des göttlichen Seins in das ihre als eigene Seinserhöhung erfährt, so tritt sie hier in das göttliche Sein ein. In der Vereinigung (mit ihren verschiedenen Stufen) vollzieht sich ein Einswerden vom persönlichen Quellpunkt des Lebens her durch wechselseitige persönliche Hingabe.

Es ist hier noch Verschiedenes anzumerken: die bloße Berührung im Innersten hat das Innewohnen durch die Gnade nicht notwendig


  1. Vgl. Seelenburg, 5. Wohnung 1. Hauptstück; Dunkle Nacht, Str. 2 V. 2, § 3 Kap. 19, E. Cr. II S. 112; Geistlicher Gesang, Str. 13, E. Cr. II S. 227.
  2. Seelenburg, 6. Wohnung 4. Hauptstück; Geistlicher Gesang, Str. 13 u. 14, E. Cr. II S. 227.
  3. Seelenburg, 7. Wohnung 1. Hauptstück; Geistlicher Gesang, Str. 22, E. Cr. II S. 277.
  4. Es kann hier nicht darauf eingegangen werden, wieweit das auch für den Verkehr von menschlichen Personen untereinander Geltung hat.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/159&oldid=- (Version vom 7.1.2019)