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Die Seele im Reich des Geistes und der Geister

Diese Gewißheit ist ihr aus dem Erlebnis der Vereinigung mit Gott zurückgeblieben. Sie hat in diesem Erlebnis selbst, es wesenhaft mitaufbauend, gelegen, wenn sie auch hinterher erst zur Abhebung gebracht werden kann. Das Bewußtsein der Vereinigung tritt nicht von außen zu der Vereinigung hinzu, sondern gehört zu ihr selbst. Wo ein solches Bewußtsein und eine nachträgliche hervortretende Gewißheit unmöglich ist – wie bei einem Stein oder einer Pflanze –, da kann auch nicht dieselbe Art der Vereinigung oder des Innewohnens vorliegen. Es ist also in der Tat eine andere Art des Innewohnens als die allen Geschöpfen gemeinsame, was Teresia im Gebet der Vereinigung erfahren hat. Und diese neue Art des Innewohnens ist auch dort, wo sie grundsätzlich möglich ist, tatsächlich nicht immer vorhanden. Das bringt die Heilige selbst zum Ausdruck, wenn sie sagt, die Seele sei gewiß, daß sie in Gott war und Gott in ihr. Es war ein Zustand, der vorüberging. Das Innewohnen durch „Gegenwart, Wesenheit und Macht“ aber setzt keinen Augenblick aus, solange ein Ding existiert. Sein Aussetzen würde für das Ding das Versinken ins Nichts bedeuten.

So halten wir mit Johannes vom Kreuz fest, daß das Innewohnen der Liebesvereinigung ein anderes ist als jenes, das alle Dinge im Sein erhält.

Auf der andern Seite tritt in der Darstellung der heiligen Mutter mit aller Schärfe und Klarheit hervor, daß es sich um ein Innewohnen handelt, das von dem gnadenhaften der Art nach, nicht nur gradmäßig verschieden ist. Sie fordert ihre Töchter nachdrücklichst auf, sich mit allen Kräften um die höchste Stufe des Gnadenlebens zu bemühen, die durch treues Mitwirken mit der Gnade zu erreichen ist: die vollkommene Vereinigung des menschlichen Willens mit dem göttlichen durch die vollkommene Übung der Gottes- und Nächstenliebe. Aber ebenso entschieden erklärt sie es für sinnlos, sich um jene Vereinigung zu bemühen, die Gott allein geben kann. Niemals wird man durch eigene, wenn auch von der Gnade getragene Anstrengung dahin gelangen, Gottes Gegenwart und das Einssein mit Ihm als lebendige Wirklichkeit zu spüren. Niemals wird gnadengestützte Willensarbeit die wunderbare Wirkung hervorbringen, die sich in der kurzen Zeitspanne einer Vereinigung vollzieht: die Seele so umzuwandeln, daß sie sich selbst kaum noch wiedererkennt; die Raupe in einen Schmetterling zu verwandeln. Eigene Arbeit verlangt viele Jahre harten Ringens, um Ähnliches zustandezubringen.

Das Gebet der Vereinigung ist doch nicht die Vereinigung, die Johannes als Ziel der Dunklen Nacht immer vor Augen hat. Es ist Vorbote und Vorstufe dazu. Es dient dazu, die Seele zur vollkommenen

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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/153&oldid=- (Version vom 7.1.2019)