Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/150

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Tod und Auferstehung

und Macht“ kann Gott in der Seele sein, ohne daß sie es weiß und will, auch wenn sie in Sünden verhärtet in äußerster Gottferne lebt; es ist möglich, daß sie keinerlei Wirkung Seiner Gegenwart ver­spürt. Das gnadenhafte Innewohnen ist nur bei persönlich-geistigen Wesen möglich, denn es fordert die freie Annahme der heiligma­chenden Gnade durch den Empfänger. (Bei der Kindertaufe wird dieser freie Empfang stellvertretenderweise von Erwachsenen vollzo­gen und später persönlich nachgeholt durch das ganze Glaubensleben des Getauften und in ausdrücklichen Worten durch die Erneuerung der Taufgelübde). Darin liegt eingeschlossen, daß Gott in dieser zweiten Weise in keiner sündhaften, gottabgewandten Seele wohnen kann. Die heiligmachende Gnade hat ja ihren Namen daher, daß sie die Sünde tilgt.

Daß das gnadenhafte Innewohnen bei unpersönlichen, d.h. unter­menschlichen Wesen nicht möglich ist, das ist in seinem eigenen Wesen begründet. Es bedeutet ein dauerndes Einströmen des göttlichen Seins und Lebens in die begnadigte Seele. Dieses Sein ist aber persönliches Leben und kann nur da einströmen, wo Ihm persönlich aufgetan wird. Eben darum ist der Empfang der Gnade nicht ohne freie Annahme möglich. Es vollzieht sich damit ein Ineinandersein, wie es nur dort möglich ist, wo ein wahrhaft inneres Sein, d.h. ein geistiges, vorhanden ist. Nur was geistig lebt, kann geistiges Leben in sich aufnehmen. Die Seele, in der Gott durch die Gnade wohnt, ist kein unpersönlicher Schauplatz des göttlichen Lebens, sondern wird selbst in dieses Leben hineingezogen. Das göttliche Leben ist dreipersönliches Leben; es ist die überströmende Liebe, womit der Vater den Sohn erzeugt und Ihm Sein Wesen hingibt, womit der Sohn dies Wesen umfaßt und wiederum dem Vater hingibt, die Lie­be, in der Vater und Sohn eins sind, die beide gemeinsam als Ihren Geist aushauchen. Durch die Gnade ist dieser Geist ausgegossen in die Herzen. So lebt die Seele ihr Gnadenleben durch den Heiligen Geist, sie liebt in Ihm den Vater mit der Liebe des Sohnes und den Sohn mit der Liebe des Vaters. Dieses Mitleben des trinitarischen Le­bens kann sich vollziehen, ohne daß die Seele das Innewohnen der göttlichen Personen in sich wahrnimmt. In der Tat ist es ja nur eine kleine Zahl Auserwählter, die zu einem wahrnehmungsmäßigen Er­fassen der dreifaltigen Gottheit in ihrem Innersten kommt. Bei einer größeren Anzahl führt ein erleuchteter Glaube zu einem lebendigen Wissen um dieses Innewohnen und zu einem liebenden Verkehr mit den göttlichen Drei im reinen Glauben. Wer noch nicht zu dieser hohen Stufe gelangt ist, der ist doch durch Glauben, Hoffnung und Liebe mit Gott verbunden, auch wenn er sich nicht darüber klar ist,

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/150&oldid=- (Version vom 7.1.2019)