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Tod und Auferstehung

Erkenntnis Gottes und Selbsterkenntnis. Die Seele muß notwendigerweise zuerst in dem einen und dann im anderen sich üben, sie muß bald das eine verkosten und dadurch erhöht werden und dann wieder im andern erprobt und gedemütigt werden, bis sie zur Vollkommenheit in den Tugenden gelangt ist; nun hört das Auf- und Absteigen auf, da sie bei Gott angekommen ist und sich mit Ihm vereint hat: Er steht auf der Spitze der Leiter, auf Ihn stützt sich die Leiter und an Ihn ist sie angelehnt“.

Vor allem aber wird die Beschauung eine Leiter genannt, weil sie „eine Wissenschaft der Liebe ist, ein eingegossenes liebendes Erkennen Gottes, das die Seele zugleich erleuchtet und mit Liebe entzündet, bis sie von Stufe zu Stufe emporsteigt zu Gott, ihrem Schöpfer. Denn die Liebe allein ist es, welche die Seele einigt und vereinigt mit Gott“. Die Sprossen der Leiter werden (mit dem hl. Bernard und dem hl. Thomas) nach ihren Wirkungen unterschieden; „da nämlich diese Leiter der Liebe .... so verborgen ist, daß Gott allein sie messen und abwägen kann, so wäre es unmöglich, auf natürlichem Wege diese Sprossen zu erkennen, wie sie in sich sind“[1].

„Die erste Sprosse macht die Seele zu ihrem Heile krank.... Aber diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes. Denn in dieser Krankheit stirbt die Seele der Sünde und allem ab, was nicht Gott ist, durch Gott selbst.... Die zweite Sprosse läßt die Seele ohne Unterlaß Gott suchen.... Hier auf dieser Sprosse wandelt die Seele mit so großer Sorgfalt, daß sie in allen Dingen den Geliebten sucht, und bei allen Geschäften, die sich ihr aufdrängen, handelt und spricht sie vom Geliebten.... Die dritte Sprosse der Liebesleiter spornt die Seele zur Tätigkeit an und erweckt sie zu warmem Leben, so daß sie nicht ermüdet.... Auf dieser Sprosse hält die Seele die heroischen Werke, die sie um des Geliebten willen vollbracht hat, für unbedeutend, die vielen für wenige, die lange Zeit, die sie Gott dient, für kurz infolge der Liebesglut, von der sie schon entbrannt ist.... In ihrer großen Liebe zu Gott achtet hier die Seele die größten Betrübnisse und Schmerzen, die sie um Gottes willen erduldet, für gering, und es wäre, wenn sie es dürfte, ihr einziger Trost, sich tausendfach für Ihn zu vernichten. Darum hält sie sich bei allem, was sie tut, für unnütz, und sie meint umsonst zu leben. Daraus entspringt eine andere wunderbare


  1. a. a. O. § 2 Kap. 18, E. Cr. II 109 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/126&oldid=- (Version vom 7.1.2019)