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Passive Nacht des Geistes

Zustand noch nicht und sieht nur, „daß sie an allem, was ihr bekannt und für sie genußbringend war, Verlust erleide“. Erst rückblickend erkennt sie, daß sie „im Dunkel wohl geborgen war“. Ein sicherer Weg war es auch darum, weil es ein Leidensweg war. „Denn der Weg des Leidens ist weit sicherer und gewinnbringender als der Weg der Freude und des Wirkens...., weil man im Leiden Kraft von Gott empfängt, in der Tätigkeit und im Genuß aber treten die Schwächen und Unvollkommenheiten der Seele zu Tage. Dann auch...., weil im Leiden Tugenden geübt und erworben werden, weil die Seele geläutert und weiser und vorsichtiger wird“. Vor allem aber ist als Ursache der Sicherheit die dunkle Weisheit selbst zu nennen. „Die dunkle Nacht der Beschauung umfängt und verschleiert die Seele derart und bringt sie Gott so nahe, daß Er selbst sie in Seinen Schutz nimmt und von allem befreit, was nicht Gott ist. Da die Seele hier einem Heilverfahren unterzogen wird, das ihr die Gesundheit, die Gott selber ist, bringen soll, so läßt sie Seine Majestät Diät und Enthaltsamkeit bezüglich aller Dinge üben und treibt ihr das Verlangen nach allen aus“. Sie ist „in Gottes Angesicht geborgen vor Menschenaufruhr“ (Ps. 30,25), d.h. sie ist durch die dunkle Beschauung „gefestigt wider alle Gelegenheiten, die ihr von Seiten der Menschen unvermutet in der Weg treten können“. Sicherheit gibt ihr auch „die Kraft, welche dieses dunkle und peinigende Wasser Gottes der Seele sogleich verleiht. Mag es auch dunkel sein, so ist es doch Wasser, und darum muß es die Seele erquicken und kräftigen in dem, was ihr am meisten zuträglich ist.... Da gewahrt die Seele alsbald eine feste Entschlossenheit und Entschiedenheit, ja nichts .... zu tun, was sie als Beleidigung Gottes erkennt, und nichts von dem zu unterlassen, wodurch sie Ihm dienen zu können glaubt. Denn jene dunkle Liebe senkt der Seele eine überaus wachsame Sorgfalt und ängstliche Aufmerksamkeit auf das ein, was sie für Gott tun und unterlassen soll, um Ihm wohlzugefallen.... Jetzt zielen alle Anstrengungen, Wünsche und Fähigkeiten der Seele, nachdem sie von allen andern Dingen losgelöst sind, mit ganzer Kraft und Macht auf den Dienst Gottes hin“. So geht die Seele von sich selbst und allen erschaffenen Dingen aus und wandelt „im Dunkel wohl geborgen“ der süßen und wonnevollen Liebesvereinigung mit Gott entgegen: „Vermummt und auf geheimer Leiter“[1].



  1. a. a. O. Str. 2 V. 1, § 4 Kap. 16, E. Cr. II 99 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/123&oldid=- (Version vom 7.1.2019)