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Tod und Auferstehung

Seelenkraft einwirken, ohne die andere zu ergreifen; und so kann Er den Willen mit einer Berührung Seiner Liebeswärme entflammen, ohne daß der Verstand etwas erkennt, so wie jemand vom Feuer erwärmt werden kann, ohne das Feuer zu sehen“[1].

Wenn aber geheimnisvolle Erkenntnis in den Verstand einströmt, dann ist die Seele „mitten in diesen Finsternissen voll Licht, ,und das Licht leuchtet in der Finsternis’ (Joan. 1,5) .... Dabei befinden sich die Sinne der Seele in einer so zarten und lieblichen heiteren Ruhe und Einfalt, daß es keinen Namen dafür gibt, bald in dieser, bald in jener Weise Gott empfindend“.

Daß trotz der gleichzeitigen Reinigung von Verstand und Willen die Beschauung meist schon im Willen als Liebe gefühlt wird, ehe sie im Verstand als Erkenntnis zur Geltung kommt, das erklärt sich durch den Gegensatz von Liebe als leidend erfahrenem Zustand (Passion) und freiem Willensakt. Jene „Liebesglut ist mehr eine Passion der Liebe als ein freier Akt des Willens“. Sie „verwundet die Seele in ihrem innersten Wesen und ruft auf diese Weise passive Gemütsbewegungen hervor. So kann man diese Entflammung eher ein Liebeerleiden als einen freien Akt des Willens nennen: denn dieser heißt Akt des Willens, sofern er frei ist. Weil aber diese Passionen und Neigungen auf den Willen zurückzuführen sind, darum schreibt man es dem Willen zu, wenn die Seele von einer Neigung ergriffen ist; und es ist auch in Wahrheit so, denn auf diese Weise läßt sich der Wille gefangennehmen und verliert seine Freiheit, so daß ihn die ungestüme Kraft der Leidenschaft mit sich fortreißt: darum können wir sagen, diese Entflammung der Liebe sei im Willen, d.h. sie entflamme das Verlangen des Willens; und so heißt sie, wie gesagt, eher Liebeerleiden als freie Tat des Willens. Weil aber die Empfänglichkeit des Verstandes die Erkenntnis nur entblößt und passiv aufnehmen kann (und das kann nur geschehen, wenn er gereinigt ist), darum erfährt die Seele zuvor weniger oft die Berührung der Erkenntnis als des Liebeerleidens. Darum braucht dafür der Wille noch nicht so sehr von Leidenschaften gereinigt zu sein, weil ihm die Leidenschaften dazu helfen, leidenschaftliche Liebe zu empfinden.

Da nun diese Entflammung und dies Liebesverlangen schon vom Heiligen Geist herrühren, sind sie ganz verschieden von dem, was wir in der Nacht der Sinne besprochen haben“. Sie werden im Geist gefühlt, wenn auch die Sinne daran Anteil haben. Dabei wird das, was man fühlt, und das, was man entbehrt, so empfunden, daß alle


  1. Lebendige Liebesflamme, Erklärung zu St. 3 V 3 § 10, E. Cr. II 455 f.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/120&oldid=- (Version vom 7.1.2019)