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Entblößung der geistigen Kräfte in der aktiven Nacht

mehr das Göttliche als das Menschliche zum Ausdruck bringen, und paßt sich im Schmuck der Bilder dem Göttlichen nach der Sinnesart der Heiligen der vergangenen Zeit und nicht nach der Mode der jetzigen an“. Eine solche Person „hängt nicht an den Bildern, deren sie sich bedient, und ist nicht betrübt, wenn man sie ihr wegnimmt. Sie sucht das lebendige Bild, Christus den Gekreuzigten, in sich .... und erträgt es gern, wenn man ihr alle übrigen wegnimmt, .... selbst wenn sie für sie Hilfsmittel .... waren, sich leichter zu Gott zu erheben. Die Beraubung trübt ihren Frieden nicht“. Über das, was dem Geist zur Erhebung des Herzens zu Gott dient, .... muß man hinwegsehen, und es darf den Sinnen nicht zum Reiz dienen; denn wenn ich mich mit Wohlgefallen den Anregungsmitteln hingebe, so muß mir das, was mir in meiner Unvollkommenheit als Stütze dient, zum Hindernis werden .... geradeso wie die Anhänglichkeit und Zuneigung zu einer andern Sache“.

Noch ärger als der Mißbrauch des Bildes ist die Unvollkommenheit, „mit der man sich gewöhnlich der Rosenkränze bedient. Man findet wenige, die in dieser Beziehung keine Schwäche zeigen. Man hat mehr Vorliebe für diese Form als für eine andere, für diese Farbe und dieses Metall als für jenes.... Erhört denn Gott das Gebet eher, wenn man mit diesem oder jenem Rosenkranz betet? Es kommt doch nur darauf an, daß man mit einfältigem und aufrichtigem Herzen betet, daß man nichts anders im Auge hat als Gott zu gefallen....“[1]

Groß ist auch der Unverstand der Menschen, „die auf ein Bild mehr Vertrauen setzen als auf ein anderes und meinen, Gott erhöre ihr Gebet eher durch Verehrung des einen als des anderen, obwohl beide das gleiche darstellen.... Denn Gott sieht doch nur auf den Glauben und die Herzensreinheit des Beters“. Gewährt Er bisweilen durch ein Bild mehr Gnaden als durch das andere, so beruht das darauf, „daß die Gläubigen durch das eine mehr zur Andacht gestimmt werden als durch das andere. Wäre ihre Andacht zu dem einen Bilde ebenso groß wie zu dem andern (und auch ohne das eine wie das andere), dann würden sie dieselben Gnaden von Gott empfangen“. Wenn durch Wundertaten vor einem Bilde die eingeschlafene Andacht wieder erwacht, wenn die Gläubigen davor entflammt und zu beharrlichem Gebet angeregt werden – „das sind die Bedingungen, um von Gott Erhörung und Gewährung der Bitten zu erlangen –, so läßt sich Gott, gerührt durch das Gebet und die Liebe der Gläubigen, herbei, sich fortgesetzt desselben Bildes zu bedienen,


  1. a. a. O. B. III Kap. 34, E. Cr. I 372 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/092&oldid=- (Version vom 3.8.2020)