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Entblößung der geistigen Kräfte in der aktiven Nacht

der Freude an zeitlichen Gütern; Lauheit und Trägheit des Geistes bis zum Abscheu gegen göttlichen Dinge. Der Heilige unterstreicht besonders die Gefahren durch die Verlockung zur sinnlichen Lust: „Keine Feder kann sie beschreiben und kein Wort zum Ausdruck bringen; es bleibt immer ein dunkles und verborgenes Geheimnis, wie weit man sich in dieser Hinsicht verirren kann und welch ein Unheil aus der Freude an der natürlichen Schönheit und Anmut entsteht“. „.... Es wird selbst unter den Heiligen nur wenige geben, die durch den Trunk der Freude und des Wohlgefallens an natürlicher Schönheit und Anmut nicht bedrückt und verwirrt worden wären“. Der Wein des Sinnengenusses umnebelt den Verstand. Nimmt man nicht sofort ein Heilmittel dagegen, „so befindet sich das Leben der Seele in Gefahr“. „Sobald das Herz sich angezogen fühlt von der eitlen Freude an natürlichen Gütern, soll es sich erinnern, wie eitel es ist, sich an etwas anderem als am Dienst Gottes zu erfreuen, und wie verderblich und gefährlich jede andere Freude ist ....; in welches Elend die Engel gerieten, weil sie mit Freude und Wohlgefallen auf ihre Schönheit und ihre natürlichen Gaben blickten. Denn diese Freude war die Ursache ihres Sturzes in den schrecklichen Abgrund....“[1]

Entsagt die Seele allen solchen Freuden, so „bereitet sie in sich selbst der Demut und der allgemeinen Liebe gegen den Nächsten eine Heimstätte“. Läßt man sich „in keiner Weise von den verführerischen natürlichen Gütern, die in die Augen fallen, einnehmen, so bewahrt man die Seele frei und klar, um alle in vernünftiger und geistiger Weise zu lieben, wie Gott es verlangt ....; je mehr die Liebe zunimmt, desto mehr wächst auch die Gottesliebe, ebenso steigert sich mit der Gottesliebe auch die Liebe zum Nächsten“. Die Entsagung bewirkt auch in der Seele „eine tiefe Ruhe, befreit sie von Zerstreuungen und gibt Eingezogenheit der Sinne, besonders der Augen“. Hat man es darin zu einiger Fertigkeit gebracht, so machen unehrbare Dinge gar keinen Eindruck mehr. Man gewinnt „Reinheit an Seele und Leib, d.h. in Geist und Sinnen, und erlangt eine engelhafte Gleichförmigkeit mit Gott, so daß Seele und Leib zu einem würdigen Tempel des Heiligen Geistes gestaltet werden“. So kommt man „zur Freiheit des Geistes, einem überaus erhabenen Gut der Seele, das für den Dienst Gottes so notwendig ist. Damit überwindet die Seele die Versuchungen, erträgt mit Geduld die Beschwerden und erstarkt immer mehr in den Tugenden“[2].


  1. a. a. O. B. III Kap. 21, E. Cr. I 332 ff.
  2. a. a. O. B. III Kap. 22, E. Cr. I 336 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/084&oldid=- (Version vom 3.8.2020)