Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/059

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Untauglichkeit alles Geschaffenen als Mittel zur Vereinigung usw.

ähnliche nachbilden“; doch diese gehören keiner höheren Kategorie an als die sinnlich wahrgenommenen. „Weil nun .... alle geschaffenen Dinge in keinem Verhältnis zum göttlichen Wesen stehen“, so kann nichts, was man sich nur immer ihnen Ähnliches vorstellen mag, nächstliegendes Mittel sein zur Vereinigung mit Gott. Für Anfänger mag es notwendig sein, sich Gott als großes Feuer oder Lichtglanz oder etwas Ähnliches vorzustellen, um die Seele durch das Sinnenfällige zur Liebe zu bewegen oder zu entflammen. Diese Bilder sind aber auch da nur entferntes Mittel; die Seelen müssen „in der Regel durch sie hindurchgehen, um zum Ziel und in das Gemach der geistlichen Ruhe zu gelangen“. Sie dürfen aber „nur hindurchdringen und nicht dauernd darin verweilen, sonst würden sie nie ans Ziel kommen ....“[1]

Der rechte Zeitpunkt, um die Stufe der Betrachtung zu verlassen, ist dann gekommen, wenn jene drei Kennzeichen zusammentreffen, die wir schon aus der Dunklen Nacht der Sinne kennen[2]: wenn die Seele in der nachsinnenden Betrachtung keine Wonne und Erquickung mehr findet; wenn sie ebenso wenig geneigt ist, sich mit andern Dingen zu beschäftigen; wenn sie am liebsten ganz in Ruhe bei Gott verweilen möchte, in einer allgemeinen, liebenden Erkenntnis Gottes. Diese liebende Erkenntnis ist in der Regel die Frucht vieler vorausgehender Betrachtungen durch mühevolles Nachsinnen in Einzelerkenntnissen gewonnen, durch lange Übung zum bleibenden Zustand geworden. Doch ruft Gott in manchen Seelen diesen Zustand ohne viele vorausgehende Übung hervor, „indem Er sie mit einem Male in den Zustand der Beschauung und Liebe versetzt“. Diese allgemeine liebende Erkenntnis läßt keine Unterscheidung mehr zu und geht nicht ins einzelne. „Wenn nun die Seele in solchem Zustand sich ins Gebet begibt, dann trinkt sie wie einer, der das Wasser zur Hand hat, mühelos und mit Wonne und hat nicht nötig, es erst mittels der Schöpfeimer vorausgehender Betrachtungen, Bilder und Vorstellungen zu schöpfen. Sowie sie sich zu Gott begibt, tritt sogleich jenes dunkle, liebende, befriedigende und beruhigende Erkennen in Wirksamkeit, in welchem die Seele Weisheit, Liebe und Wonne trinkt“. Alle Unruhe und Pein kommt von Mißverstehen


  1. a. a. O. B. II Kap. 11, E. Cr. I 146 f.
  2. Sie werden im Aufstieg (B. II Kap. 11 u. 12) in etwas anderer Fassung angegeben. [Das erste Kennzeichen in der Nacht ist das zweite im Aufstieg. Das zweite Kennzeichen in der Nacht ist das dritte im Aufstieg. Das dritte Kennzeichen in der Nacht ist das erste im Aufstieg. In der Nacht deuten diese Kennzeichen auf die reinigende Wirkung Gottes in der Seele durch die anfangende eingegossene Beschauung hin. Anm. d. Herausgeber]
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/059&oldid=- (Version vom 3.8.2020)