Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/057

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Untauglichkeit alles Geschaffenen als Mittel zur Vereinigung usw.

Glaube. Er ist das einzige Mittel, das zur Vereinigung führt, denn er stellt uns Gott vor Augen, wie Er ist: als unendlichen, als dreieinen. Der Glaube gleicht Gott darin, daß beide den Verstand blenden und ihm als Finsternis erscheinen. „Darum ist die Seele um so inniger mit Gott vereint, je mehr sie vom Glauben erfüllt ist“. Seine Dunkelheit deutet die Heilige Schrift an durch das Bild der Wolke, in die sich Gott in den alttestamentlichen Offenbarungen hüllte: vor Moses auf dem Berge[1]; im salomonischen Tempel[2]. In diesem Dunkel ist das Licht der Wahrheit verborgen. Es wird unverhüllt aufstrahlen, wenn einst mit dem Leben der Glaube enden wird“[3]. Vorläufig aber sind wir ganz auf ihn angewiesen. Was er uns gibt – die Beschauung –, ist eine dunkle und allgemeine Erkenntnis; sie steht im Gegensatz nicht nur zur natürlichen Verstandestätigkeit, sondern auch zu den verschiedenen Weisen, wie dem Verstand gesonderte und deutlich erfaßbare übernatürliche Erkenntnisse zuteil werden können: Gesichte, Offenbarungen, Ansprachen und geistige Empfindungen. Es können sich den leiblichen Augen Gestalten aus der andern Welt, Engel oder Heilige, zeigen oder auch ein außergewöhnlicher Lichtglanz. Man kann ungewöhnliche Worte hören, liebliche Wohlgerüche wahrnehmen, sinnlichen Wohlgeschmack kosten oder mit dem Tastsinn starke Wonnegefühle empfinden. All das soll man abweisen, ohne zu untersuchen, ob es in sich gut oder böse sei. Es entspricht Gott mehr, sich dem Geist mitzuteilen als den Sinnen, und die Seele findet darin größere Sicherheit und gelangt zu größerem Fortschritt, während mit der sinnlichen Gegebenheit in der Regel große Gefahr verbunden ist. Die Sinne meinen dann über geistige Dinge urteilen zu können, während sie doch darin so unwissend sind wie ein Lasttier in Sachen der Vernunft. Auf diesem Gebiet kann auch der Teufel leicht seine Künste üben, weil er auf das Körperliche Einfluß hat. Und auch wenn die Gestalten von Gott stammen, sind sie um so weniger förderlich für den Geist, je mehr sie äußerlich in Erscheinung treten, sie regen weniger den Geist des Gebetes an und erwecken den Anschein, als komme ihnen größere Bedeutung zu und sie könnten besser führen als der Glaube. Sie verführen auch die Seele zu einer hohen Meinung von sich selbst. Darum bedient sich der Teufel ihrer so gern, um den Seelen zu schaden. Aus all diesen Gründen ist es stets das Beste, solche Gebilde abzuweisen. Stammen sie von Gott, so geht der Seele dabei nichts verloren; wohl darum, weil jede Mitteilung, die von Gott kommt,


  1. Ex. 19,9; 16 u. 24, 15 f.
  2. 3 Reg. 8, 12.
  3. Aufstieg, B. II Kap. 8, E. Cr. I 133.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/057&oldid=- (Version vom 3.8.2020)