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Entblößung der geistigen Kräfte in der aktiven Nacht

von Tröstungen und geistigen Gefühlen. Die sich damit begnügen wollen, schrecken „wie vor dem Tod selber“ zurück, „sobald ihnen etwas von jener gediegenen Vollkommenheit begegnet, wie sie in der Beraubung aller Süßigkeit in Gott, in Trockenheit, Ekel und Mühsal besteht. Dies ist das reine geistige Kreuz, die Blöße der Armut im Geiste Christi“. Das andere ist „nichts weiter als sich selbst in Gott suchen ...., der direkte Gegensatz zur Liebe. Sich selber in Gott suchen heißt nur die Gaben und Ergötzungen in Gott suchen .... Gott in Ihm suchen heißt nicht bloß auf beides aus Liebe zu Gott verzichten, sondern um Christi willen freudig bereit sein, von seiten Gottes und der Welt gerade das Unschmackhafteste zu wählen: und das ist Liebe zu Gott“[1]. Seine Seele hassen – und eben dadurch bewahren – heißt um Christi willen allem entsagen, was der „Wille nur immer begehren und kosten kann, und nur das für sich behalten, was mehr nach dem Kreuze schmeckt ....“ Mit dem Herrn den Kelch trinken (Matth. 20,21) bedeutet der Natur absterben – dem Sinnlichen wie dem Geistigen nach. Nur so kann man auf dem schmalen Weg aufsteigen. „Denn hier gibt es nur Entsagung .... und Kreuz. Dies ist der Stab, auf den man sich stützt und durch den man sich das Vorwärtskommen sehr erleichtert. Darum sagt der Herr beim hl. Matthäus: ,Mein Joch ist süß und meine Bürde leicht’ (Matth. 11,30). Diese Bürde aber ist das Kreuz. Sobald sich nämlich der Mensch dazu entschließt, das Kreuz auf sich zu nehmen, d.h, .... in allem um Gottes willen nur Mühsal zu suchen und freudig auf sich zu nehmen, wird er auch tatsächlich in allen Dingen große Erleichterung und Süßigkeit finden und in dieser völligen Losschälung von allem, ohne noch etwas zu verlangen, seinen Weg wandeln. Sowie er hingegen selbstsüchtig an etwas hängt, mag das nun etwas Göttliches oder Irdisches sein, ist er schon nicht mehr von allem entblößt und entäußert. Darum kann er auch nicht auf diesem schmalen Pfade Fuß fassen und vorwärts kommen“. Die geistlichen Seelen sollen einsehen, „daß dieser Weg zu Gott nicht in vielen Betrachtungen oder in bestimmten Übungen noch in wonnigen Gefühlen besteht ...., sondern in dem einen Notwendigen...., sich selbst innerlich wie äußerlich allen Ernstes zu verleugnen, um Christi willen zum Leiden bereit zu sein, sich in jeder Hinsicht abzusterben. Wer sich .... hierin schult, der wird darin alles und mehr als jenes wirken und finden. Läßt man es dagegen an dieser Übung fehlen ...., so sind alle andern Tugendübungen nichts weiter als Wasserschößlinge, die zu keinem Fortschritt


  1. a. a. O. B. II Kap. 6, E. Cr. I 122.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/054&oldid=- (Version vom 3.8.2020)