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Unterschied im Symbolcharakter: Wahrzeichen und kosmischer Ausdruck

Wort für den Dichter und Menschen bedeutet. Wir haben es, sofern es symbolischer Ausdruck ist, in einigen Zügen wiederzugeben gesucht, ohne es damit zu erschöpfen. Nun müssen wir uns bemühen, das zu fassen, was auf solche Weise symbolisch ausgedrückt werden soll. Johannes hat es ausführlich behandelt, und wir werden darauf zurückkommen müssen. Vorläufig gilt es nur einen ersten Einblick zu gewinnen, um die Eigentümlichkeit des vorliegenden Symbolverhältnisses sichtbar zu machen. Die mystische Nacht ist nicht kosmisch zu verstehen. Sie dringt nicht von außen auf uns ein, sondern hat ihren Ursprung im Innern der Seele und befällt auch nur diese eine Seele, in der sie aufsteigt. Doch die Wirkungen, die sie im Innern hervorbringt, sind denen der kosmischen Nacht vergleichbar: sie bedingt ein Versinken der äußeren Welt, mag sie auch draußen in hellem Tageslicht ausgebreitet liegen. Sie versetzt die Seele in Einsamkeit, Öde und Leere, unterbindet die Tätigkeit ihrer Kräfte, ängstigt sie durch drohende Schrecken, die sie in sich birgt. Doch auch hier gibt es ein nächtliches Licht, das eine neue Welt tief im Innern erschließt und die Welt draußen gleichsam von innen her erhellt, sodaß sie uns als eine völlig veränderte wiedergeschenkt wird.

Wir versuchen nun, über das Verhältnis von kosmischer und mystischer Nacht Klarheit zu gewinnen, soweit es auf Grund dieser ersten einführenden Erwägungen möglich ist. Offenbar handelt es sich hier um keine Zeichenbeziehung, nichts von außen und willkürlich Festgesetztes, auch um keinen ursächlich und geschichtlich erwachsenen Zusammenhang wie beim Wahrzeichen. Es liegt eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung vor, die es erlaubt, hier und dort denselben Namen zu gebrauchen. Wenn man vom Bild der Nacht spricht, so will man damit wohl sagen, daß der Name in erster Linie der kosmischen Nacht zukommen und von da auf die mystische Nacht übertragen sei, um durch ein Allbekanntes und Vertrautes mit etwas Unbekanntem und schwer Zugänglichem bekannt zu machen, das ihm ähnlich ist. Es kann aber von keinem Abbildverhältnis die Rede sein: es ist ja nicht eines dem andern nachgebildet. Eher ist an das Verhältnis symbolischen Ausdrucks zu denken, wie es allgemein zwischen Sinnenfälligem und Geistigem besteht: wie Gesichtsbildung und Mienenspiel Ausdruck seelischer Eigenart und seelischen Lebens sind, wie sich in der Natur Geistiges und sogar Göttliches offenbaren. Es ist eine ursprüngliche Gemeinsamkeit vorhanden und eine sachliche Zusammengehörigkeit, die das Sinnenfällige geeignet macht, Geistiges erkenntnismäßig zu erschließen. Vom Bildverhältnis bleibt nur die Ähnlichkeit – eine Ähnlichkeit


Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/035&oldid=- (Version vom 3.8.2020)